Angefangen mit dem grossen Experiment hat die Europäische Zentralbank. Vor bald zwei Jahren führte sie Negativzinsen ein, um die lahmende Wirtschaft in der Euro-Zone anzukurbeln. Banken, die bei ihr freie Mittel parkierten, mussten dafür plötzlich bezahlen.
Mit ihren Strafzinsen wollte die EZB die Banken dazu drängen, Kredite zu vergeben, statt Geld bei der Zentralbank zu horten. Dazu gesellte sich eine ultralockere Geldpolitik von EZB-Chef Mario Draghi, der den Markt mit Geld flutete und so die Gemeinschaftswährung Euro schwächte. Damit zwang Draghi die Währungshüter anderswo, es ihm gleich zu tun.
Eine gefährliche Spiralbewegung kam in Gang: Mittlerweile haben die dänische, die schwedische und die japanische Notenbank Negativzinsen eingeführt. Spitzenreiterin bei den Negativzinsen – mit einem Satz von minus 0,75 Prozent – ist seit über einem Jahr die Schweiz.
Jordan sieht die SNB auf Kurs
Nationalbank-Chef Thomas Jordan sieht sich auf Kurs mit seiner Politik. Die SNB habe Negativzinsen eingeführt und sei zudem bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren. «Beide Elemente sollen dazu beitragen, den Druck auf den Franken zu reduzieren», so Jordan. «Für den Moment wollen wir an dieser Geldpolitik festhalten.»
Doch auch Nationalbankchef Jordan weiss um die Schattenseite der Negativzinsen. Beispielsweise um die Mühen der Pensionskassen, mit ihren Finanzanlagen überhaupt noch eine Rendite zu erzielen und so die Renten der Versicherten zahlen zu können.
Alle diese Massnahmen hätten natürlich nicht nur gewünschte Wirkungen, sondern auch unerwünschte, räumt Jordan ein. «Verändert man die Geldpolitik, muss man eine Kosten-Nutzen-Analyse machen und dann entsprechend entscheiden.» Offenbar betrachtet er den eingeschlagenen Weg als notwendig, um die Frankenstärke zu bekämpfen.
«Totengräber des Kapitalismus»
Allerdings: Die Kosten dafür wiegen schwer. Wenn es so weitergehe mit den Negativzinsen, könnten die Notenbanken zu den Totengräbern des Kapitalismus werden, warnt der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar von der Universität Hamburg. «Aus meiner Sicht sind Negativzinsen das Ende des Kapitalismus.»
Der Kapitalismus gebe letztlich ein Versprechen ab, erklärt Straubhaar: «Wenn Sie heute auf etwas verzichten, dann führt dieser Verzicht dazu, dass andere an Ihrer Stelle investieren können.» In der Praxis heisst das zum Beispiel: Unternehmen nehmen Kredite auf, um Maschinen zu kaufen, und zahlen dafür Zinsen.
Falsche Anreize
Genau an diesem zentralen Punkt der Investitionen aber hebeln die Negativzinsen mit der Zeit das System aus. «Überspitzt formuliert bedeuten Negativzinsen, dass die Nationalbank davon ausgeht, dass den Unternehmern in der Schweiz die Ideen ausgehen, um mit neuem Kapital kluge, renditeträchtige Investitionen finanzieren zu können.»
Statt dass das billige Geld produktiv eingesetzt wird, bilden sich Preisblasen. Beispielsweise am Immobilienmarkt, wo die Anleger verstärkt in Renditeliegenschaften investieren – auch wenn sich die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum und Verkaufsflächen für Geschäfte abkühlt.
Falsche Anreize würden die Negativzinsen aber auch bei den Sparern setzen – bei den Privaten ebenso wie bei den Pensionskassen, so Straubhaar. «Die Menschen sind ja nicht dumm.» Vor allem die Schweizer würden mit besonders viel Vernunft handeln, wenn es um ihr Geld gehe. «Und was machen sie, wenn es auf dem Sparheft Negativzinsen gibt? Dann gehen sie in der Bank zwei Stockwerke tiefer, mieten sich einen Tresor und legen das Geld dort hinein.»
Die letzte Drehung an der Daumenschraube
Mit der Folge, so Straubhaar, dass dann die Diskussion beginne über die Abschaffung des Bargelds. «Das ist dann die letzte Drehung der Daumenschraube: Erst werden die Menschen aus dem Bankkonto vertrieben, dann halten sie Bargeld im Tresor – und wenn das auch nicht mehr gewollt ist, dann verbietet man das Bargeld oder macht Schwundgeld», sagt Straubhaar. «Das zeigt doch ganz klar, wohin die Reise geht: in Richtung Abschaffung des Kapitalismus.» Eine Entwicklung, die auch die Schweizerische Nationalbank wohl kaum will.