Die Europäische Zentralbank (EZB) wird im Kampf gegen die Konjunkturschwäche monatlich 60 Milliarden Euro in den Markt pumpen. Über eine Billion Euro werden es bis Ende September kommendes Jahres werden. Hans-Werner Sinn vom ifo Institut in München im Interview:
SRF: EZB-Chef Mario Draghi arbeitet nicht mit dem Schäufelchen, sondern mit dem Bagger. Ein Unsinn?
Hans-Werner Sinn: Unsinn nicht. Das wird schon wirken und zur Abwertung des Euro und insofern zu einer Inflation führen. Meine Bedenken sind rechtlicher Natur. Ich glaube, das kollidiert mit Artikel 123 des EU-Vertrages, wonach eine Monetarisierung der Staatsschuld verboten ist. Das müssen die Gerichte klären.
Es heisst, die EZB-Spitze habe sich einhellig dazu bekannt, dass dieses so genannte «quantitative easing» ein korrektes Instrument sei?
Das ist richtig. Aber die Entscheidung darüber, ob die Bundesbank an solchen Programmen mitmachen darf, trifft nicht der europäische Gerichtshof, sondern das deutsche Verfassungsgericht. Es geht um die Frage, inwieweit Budgethoheit an die EZB abgetreten wird. Denn allfällige Risiken würden sich auch auf den deutschen Staatsetat übertragen. Das darf nicht sein. Jede nationale Notenbank soll im Prinzip nur für ihre eigenen Risiken zuständig sein.
Die Befürworter werden die USA als Vorbild anbringen, wo das FED die Geldschleusen schon lange geöffnet hat. Brachte das nicht doch einige Erfolg?
Der Vergleich hinkt. Die FED kauft keine Staatspapiere der Gliedstaaten. Genauso wenig, wie die Schweizer Notenbank Papiere der Kantone kaufen würde. Wenn die EZB in Amerika aktiv wäre, würde sie jetzt die Staatspapiere von Kalifornien, Illinois oder Minnesota kaufen, die am Rande der Pleite stehen. Die Bundesstaaten würden sich darauf neu verschulden. Ohne diese Käufe aber müssen sie den Gürtel enger schnallen oder den Gläubigern höhere Zinsen bieten. Das führt zur Schuldendisziplin.
Wer profitiert von der heutigen EZB-Massnahme?
Die Gewinner sind die Banken Südeuropas, welche die als toxisch empfundenen Staatspapiere in ihren Büchern haben. Sie werden die Gelegenheit nutzen, diese abzustossen und das freiwerdende Geld anderweitig zu investieren. Die Gewinner sind auch die Krisenstaaten Südeuropas, die bei der Finanzierung zu normalen Marktbedingungen sehr hohe Zinsen zahlen müssten. Die Möglichkeit, indirekt an die EZB zu verkaufen, drückt ihnen gewaltig die Zinsen und entlastet die Staatsbudgets.
Die Massnahme belastet aber umgekehrt die Sparer. Diejenigen Länder, die netto Ersparnisse exportieren sind die Verlierer – allen voran Deutschland als europa- und weltweit eines der grössten dieser Länder. Als Gläubiger verliert man bei niedrigen Zinsen, als Schuldner gewinnt man. Die niedrigen Zinsen kosten also die Sparer extrem viel Geld.
Gehört die Realwirtschaft auch zu den Verlierern?
Die Wirtschaft hat keine Präferenzen zu haben, sondern Mittel zum Zweck für einen möglichst hohen Verbrauchernutzen zu sein. Die Verbraucher profitieren aber eben nicht so ohne Weiteres von dieser Politik, weil sie zur Abwertung führt. Die Banken kommen jetzt zu sehr viel Geld. Dieses werden sie in Immobilien und Aktien anlegen und auch ins Ausland zu tragen versuchen. Das ist der Effekt, den die Schweiz schon gespürt hat.
Die Banken haben in den letzten Wochen alles freie Geld zusammengekratzt, weil sie wussten, dass sie nach dem 22. Januar über sehr liquide Staatspapiere verfügen, die sie schnell wieder versilbern können. Das hat den Wechselkurs verändert. Diese Massnahme führt jedenfalls bei den Verbrauchern Europas zu zusätzlichen Lasten, weil die Importgüter teurer werden.
Die EZB begründet diese Massnahme damit, dass eine Deflation vermieden werden soll. Allerdings ist die Deflation allein darauf zurückzuführen, dass die Ressourcenpreise, insbesondere Öl, gefallen sind. Welchen Zweck eine Politik haben soll, die Ölpreise steigen zu lassen, ist schwer einzusehen. Für mich ist das ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit will die EZB die Banken und Staaten Südeuropas retten. Das ist eine reine Bail-out-Politik zulasten der Steuerzahler.