SRF News Online: Warum führt die SNB gerade jetzt den Negativzins ein?
Reto Lipp: Ganz bestimmt war der Auslöser die Rubelkrise. Diese brachte einen enormen Aufwertungsdruck auf den Franken. Wie immer in einer geopolitischen Krise, ist der Franken sehr gefragt. Die Nationalbank hat zur Verteidigung des Mindestkurses zwei Mittel: Entweder wieder massiv am Devisenmarkt intervenieren und Euro kaufen oder mit Negativzinsen die Schweiz als Anlageland für ausländisches Kapital weniger attraktiv machen.
Die Nationalbank musste beide Massnahmen ergreifen. Sie hat in den letzten Tagen am Devisenmarkt interveniert. Das hat offensichtlich nicht ausgereicht. Sie hat deshalb auch zur zweiten Massnahme gegriffen – zu den Negativzinsen.
Was sind Negativzinsen und wie wirken sie?
Negativ-Zinsen sind Gebühren. Die Banken müssen für Gelder, die sie bei der Nationalbank parkieren, zahlen. Das soll die Banken abschrecken zu viel Geld entgegenzunehmen. Letztlich werden die Banken, die Gebühren, die sie der Nationalbank bezahlen müssen, ihren Kunden weiterverrechnen – damit dürften einige und vor allem ausländische (Gross-)Kunden davon absehen, ihr Geld in Schweizer Franken anzulegen. Dies ist weniger attraktiv und kostet sogar noch. Ob das allerdings genügt, um in einer weiter schwelenden Rubelkrise ausländisches Kapital abzuschrecken, ist völlig offen.
Was bedeutet das für die Geschäftsbanken?
Sie haben überhaupt kein Interesse mehr, von ihren Kunden Kapital entgegen zu nehmen. Denn wenn sie das Kapital nicht anderweitig ausgeben können – zum Beispiel für Kredite – dann müssen sie das Geld auf der Nationalbank parkieren. Dafür werden ihnen aber jetzt Gebühren verrechnet. Die Geschäftsbanken werden ihren Grosskunden deshalb künftig für die Geldannahme Gebühren verrechnen.
Was bedeutet das für den Normalverbraucher?
In erster Linie bedeutet das, dass die Zinsen weiter nach unten gehen könnten. Das heisst beispielsweise: Die Hypozinsen kommen nochmals ins Rutschen, obwohl die 10-jährigen Festhypotheken mit rund 1,5 Prozent schon sehr tief sind. Die Zinsen dürften auch noch länger tief bleiben, als man bisher glaubte. Das ist eine gute Nachricht für Hausbesitzer und Mieter, aber eine schlechte für Sparer. Diese zahlen den Preis, beziehungsweise bekommen praktisch keine Zinsen mehr.
Es besteht sogar die Gefahr, dass Banken die Negativzinsen an ihre Kunden weitergeben. Das würde dann bedeuten, dass man sogar noch Geld bezahlen muss, wenn man sein Geld auf einem Bankkonto liegen hat – eine völlig verquere Situation: Sparen lohnt sich dann überhaupt nicht mehr. In Deutschland hat die Commerzbank für Grosskunden bereits Negativzinsen eingeführt. Auch wenn die Banken jetzt beteuern, sie werden die Negativzinsen nicht an ihre Kunden weitergeben, sind solche Aussagen mit Vorsicht zu geniessen.
Was kann der Normalverbraucher tun?
Als Normalverbraucher kann man wenig tun, ausser natürlich seine Anlagepolitik überdenken. Vermutlich werden Negativzinsen die Börse beflügeln, tatsächlich steigt ja heute der SMI stark an. Wenn man für sein Erspartes noch zahlen muss, kann man es gerade so gut an der Börse anlegen. Und natürlich lohnt sich auch Schulden zu machen, denn die Zinsen bleiben auf Rekordtief. Anlagen in Immobilien bleiben unverändert attraktiv.
Die Immobilienpreise werden so sicher nicht sinken. Hier ist die Nationalbank im Dilemma, sie warnt ja ständig vor den Gefahren einer Immobilienblase, aber mit einer solchen Massnahme fördert die Nationalbank natürlich die Anlagen in Immobilien sowie letztlich die Verschuldung in der Schweiz.
Gilt das auch für institutionelle Anleger?
Diese werden künftig noch stärker auf Aktien setzen, denn gerade Pensionskassen müssen ja Gelder erwirtschaften, um die Renten zu bezahlen. Wenn sie aber auf den Obligationen immer weniger Zins bekommen, müssen sie verstärkt auf dividendenstarke Aktien setzen. Auch Immobilienanlagen bleiben für Pensionskassen sehr attraktiv.
(SRF 4 News, 8.30 Uhr; muei; roso)