Darknet ist der Überbegriff für viele kleinere und grössere Netzwerke. Es ist ein verschlüsselter Teil des Internet, der nur mit gewissen Browsern zugänglich ist. Die IP-Adressen der Nutzer wechseln automatisch. Wer da surft, ist anonym und kaum zurückverfolgbar. Es sind die schwarzen Löcher, die blinden Flecken des Internet.
Das bekannteste Darknet ist das Tor-Netzwerk. Es wird über den gleichnamigen Browser zugänglich, der ganz einfach im Internet heruntergeladen werden kann.
Wo Schatten ist, ist auch Licht
Wer sich als Neuling ohne Böses im Sinn auf die Expedition begibt, mag im ersten Moment erschrecken. Im Darknet findet man alles: falsche Levis-Jeans, Heroin, Auftragskiller, Spendenseiten für Terrororganisationen, Live-Streams mit Misshandlungen für Pädokriminelle.
Aber auch ganze Bibliothekensammlungen, Foren für Krankheiten, Messagedienste für Regimekritiker. «Journalisten, Blogger und Dissidenten brauchen Tor oft, vor allem in Ländern mit strikter Internetzensur», sagt Alex Biryukov, Professor für Kryptografie und Internetsicherheit an der Uni Luxemburg. Edward Snowden soll seine NSA-Dokumente damals via Darknet weitergegeben haben.
Tor-Browser: 2,5 Millionen Nutzer pro Tag
Jamie Bartlett ist Direktor des Londoner Demos-Instituts und Autor des Buches The Dark Net. «Man muss unterscheiden zwischen dem Tor-Netzwerk und dem Tor-Browser. Mit dem Browser kann man auch im normalen Internet anonym surfen», sagt der Experte.
Der Browser sei ein wichtiges Werkzeug für Menschenrechtsaktivisten. Weltweit surfen schätzungsweise rund 2,5 Millionen Nutzer täglich damit, schätzt er. Das Tor-Netzwerk sei hingegen etwas anderes: ein Teil des Darknet. Hier befinden sich viele versteckte Websiten, oft mit fragwürdigem Inhalt. Nicht jeder, der den Browser benutzt, surft auch im Netzwerk.
Dass in diesem die totale Anonymität missbraucht wird, verstehe sich von selbst: «Das Darknet erschafft zwar nicht das Böse. Aber es erlaubt Leuten, die eigenen Grenzen zu überschreiten – weil sie keine Angst haben, erwischt zu werden», glaubt Bartlett.
Psychologische Betreuung für Darknet-Ermittler
Einen täglichen Einblick in solche Abgründe erhält Thomas Walther, Kommissariatsleiter der Schweizerischen Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik).
Sein Team ermittelt vor allem im Bereich der Pädokriminalität. Er bestätigt: «Die Leute gehen immer mehr in die geschützten Bereiche für ihre kriminellen Tätigkeiten.»
Die Kobik ermittelt auch im Tor-Netzwerk verdeckt. Es kommt es vor, dass sie mit ansehen müssen, wie ein Kind vor laufender Kamera missbraucht wird. Eine Belastung, mit der man umgehen lernen müsse, sagt Walther. «Wir haben eine interne psychologische Betreuung.»
«Verteufeln bringt nichts»
Doch er mahnt vor Pauschalisierungen: «Manchmal sagen mir Leute: Das Darknet muss man verbieten! Aber verteufeln bringt nichts. Alles, was positive Seiten hat, hat auch negative.»
In diesem Punkt geht auch Hernani Marques, Aktivist beim Chaos Computer Club, mit dem Kommissariatsleiter einig: «Kann man denn ein Werkzeug kriminalisieren, nur weil es auch für Schlechtes verwendet wird? Auch der öffentliche Raum wird für Kriminalität verwendet – wir wollen aber den öffentlichen Raum auch nicht verbieten.»
Das verschlüsselte Internet könne wie jeder technologische Fortschritt «gebraucht und missbraucht» werden, erklärt der IT-Professor Biryukov. «In den frühen 20er Jahren wurden Autos für Banküberfälle benutzt. Die Polizei konnte die Täter viel schwieriger erwischen. Dies war aber kein Grund, Autos zu verbieten.»
Trend zur Verschlüsselung
Kobik-Ermittler Walther warnt vor einer Hexenjagd: «Nicht jeder, der im Darknet unterwegs ist, hat Böses vor. Das Darknet wird massiv für kriminelle Tätigkeiten missbraucht. Das muss aber nicht heissen, dass ein Tor-Benutzer per se unlautere Absichten hat. Da muss man differenzieren.»
Der britische Experte Bartlett hat für die Recherche zu seinem Buch Drogen bestellt, mit Pädokriminellen und Neonazis aus dem Darknet gesprochen. «Die Anonymität dort wirkt wie ein Verstärker der menschlichen Natur. Die Leute überschreiten ihre moralischen Grenzen, weil sie denken: Was nur einen Klick entfernt ist, kann nicht so schlimm sein.»
Er glaubt, dass das heutige flächendeckende Abgrasen von Daten und die Überwachung im «normalen» Internet die Leute misstrauisch mache. Das heisst nicht, dass sich deswegen alle nun ins Darknet stürzen. Doch: «Die Trends zeigen generell alle in Richtung Verschlüsselung. In zehn Jahren gehört diese zum Mainstream.»