SRF News: Grosses Thema am WEF in diesem Jahr ist die vierte industrielle Revolution und die grossen Veränderungen, die sie mit sich bringt. Wie trifft uns diese Entwicklung in der Schweiz?
Klaus Schwab: Sie trifft uns sehr stark. Wir sind das wettbewerbsfähigste Land der Welt gemäss unserem Wettbewerbsbericht. Aber wir müssen alles in Frage stellen, weil diese Revolution wie ein Tsunami auf uns zukommt. Wir sehen eine exponentielle Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse. Hier wird es für die Schweiz darum gehen, alle Kraft auf ihre Innovationskraft zu konzentrieren.
Sind im KV-Bereich Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht?
In Zukunft werden wir sicher mit weniger Menschen auskommen. Menschen, die heute im Dienstleistungssektor und im Büro arbeiten, müssen sich deshalb auf die Berufe und Fähigkeiten von morgen vorbereiten. Wir haben gerade einen Bericht veröffentlicht, in dem wir untersuchen, was diese Fähigkeiten sind.
Der Verlust von Arbeitsplätzen trifft die Mittelklasse stark. Das, sagen Sie, kann ein Problem für die Demokratie werden. Warum?
Die Mittelklasse ist der Träger der Demokratie. Wenn wir die Mittelklasse aushöhlen, werden wir die sozialen Spannungen noch erhöhen. Wenn wir keine politische Lösung finden, wird der Gewinn aus der vierten industriellen Revolution bei denjenigen bleiben, die neue unternehmerische Ideen und das Kapital dazu haben. Diejenigen, die eher Servicearbeiten verrichten, werden wohl die Verlierer dieser Revolution sein.
Wie sieht der Bürojob der Zukunft aus?
Sie werden dort mehr Automatisation vorfinden und auch Roboter. So, wie wir den administrativen Bereich heute kennen, wird es ihn in der Zulunft wahrscheinlich nicht mehr geben.
Sie sprechen von der «kreativen Zerstörung» von Arbeitsplätzen. Was meinen Sie damit?
Es wird sicher neue Arbeitsplätze geben. Wir werden zum Beispiel Roboterreparierer brauchen oder Drohnendispatcher. Wir können diese neuen Berufe noch nicht alle voraussehen. Aber ich bin sehr optimistisch, dass es neue Möglichkeiten der Beschäftigung geben wird. Und vor allem glaube ich, dass der Bereich des Sozial- und Gesundheitwesens in Zukunft wesentlich mehr Arbeitskräfte relativ zur Gesamtbeschäftigung braucht.
Gewinnen wir noch etwas ausser Produktivität?
Wir dürfen nicht vergessen, was wir bereits gewonnen haben. Wir haben bessere Kommunikationsmöglichkeiten. Wir haben Zugang zu Wissen in der ganzen Welt. Wir können uns weiterbilden. Und ich hoffe, dass davon auch die Kultur profitieren wird.
Die Flüchtlingskrise wird ein weiteres wichtiges Thema sein in diesem Jahr. Wo liegt Ihrer Meinung nach der Schlüssel zur Lösung?
In der Bekämpfung der Ursachen. Meine Sorge ist, dass das, was wir derzeit sehen, nur der Anfang einer grossen Bewegung ist. Durch den Rückgang des Ölpreises und die bevorstehende Wasserarmut in Afrika müssen wir mit wesentlich grösseren Flüchtlingsbewegungen rechnen. Bei der Suche nach Lösungen wird es darum gehen, einen Kompromiss zu finden zwischen der Erhaltung unserer Kultur und Eigenständigkeit auf der einen Seite und der Solidarität mit denjenigen, die unsere Hilfe nötig haben, auf der anderen.
Iran und Saudi-Arabien sind hochrangig vertreten hier in Davos. Sind Treffen geplant?
Es sind sicher Treffen möglich. Im Moment möchte ich dazu keine Stellung nehmen.
Wo könnte es in diesem Jahr grundsätzliche Lösungen oder Fortschritte geben?
Ich glaube, zunächst dreht sich vieles um die geopolitischen Brennpunkte. Hier haben wir ja auch positive Entwicklungen wie die Integration des Irans ins Weltwirtschaftsgeschehen. Eine anderes Thema dürfte sein, wie wir unsere Wirtschaft endlich wieder in Gang bringen. Was wir jetzt an den Börsen erleben, zeigt, dass das Vertrauen in die Zukunft noch nicht da ist. Und dass wir – auch durch die vierte industrielle Revolution – unsere alten Rezepte zur Wirtschaftsankurbelung und zur Produktivitätssteigerung in Frage stellen müssen.Könnte das WEF einen Schub geben?
Sicher. Immerhin sind die grossen Denker, die Experten und die politischen Verantwortlichen alle hier.
Stichwort Sicherheit am WEF: Haben die Anschläge in Frankreich direkte Auswirkungen auf das diesjährige Treffen?
Natürlich. Wir müssen heute terroristischen Aktivitäten grössere Bedeutung beimessen. Es gibt mehr Sicherheitsvorkehrungen als sonst. Aber in der Schweiz und im Gastgeberkanton Graubünden sind wir in guten Händen.
Das Interview führte Stefan Klapproth.