Das Thema in Kürze:
- Anfang Dezember warnte die Netzbetreiberin Swissgrid vor einem Stromengpass im Winter.
- Die Speicherseen waren im Dezember halb leer, weil viel Speicherstrom produziert wurde.
- Der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen VSE sagt: Die Produzenten hätten sich marktkonform verhalten.
- Und: Es gebe keine gesetzliche Verpflichtung für die Wasserkraft, für die Versorgungssicherheit zu sorgen.
Wenig Wasser in den Flüssen wegen des trockenen Sommers, der Ausfall der Kernkraftwerke Beznau I und II sowie halbleere Stauseen veranlassten Netzbetreiberin Swissgrid, am 2. Dezember 2015 vor einer «angespannten Energie- und Netzsituation für den Winter» zu warnen. Bei den Stauseen hätte es nicht soweit kommen müssen: Im Oktober und November hatten die Stromkonzerne so viel Speicherstrom produziert, dass die Stauseen im Dezember zur Hälfte und mehr geleert waren. Und das, obwohl sie Ende September mit über 80 Prozent sehr gut gefüllt waren, wie «Infosperber» berichtete.
Jetzt sagt Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, man könne es der Wasserkraft nicht verargen, dass sie Marktoppportunitäten genützt habe. Er geht sogar noch weiter: «Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung für die Wasserkraft, für die Versorgungssicherheit zu sorgen.»
Eine erstaunliche Aussage, denn erst im September hat der Ständerat im Rahmen der Energiedebatte 2050 Subventionen für die Wasserkraft zugestimmt: Wasserkraftwerke in Not sollen aus dem Fördertopf für neue erneuerbare Energien KEV (Kostendeckende Einspeisevergütung) jährlich bis zu 120 Millionen Franken erhalten. Vertreter von Wasserkantonen wie der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler machten während der Debatte Druck: «Sie können wählen, ob die Ergänzungs- und Ausgleichsenergie auch in Zukunft von der inländischen Wasserkraft stammen soll oder aus importierter Bandenergie von ausländischen AKWs oder Kohlekraftwerken.» Wer daraus schloss, Schweizer Stromkonsumenten könnten sich auf Ausgleichsenergie aus Wasserkraft verlassen, sieht sich jetzt eines Besseren belehrt.
Verantwortung nicht in einer Hand
Die Verantwortung für die Situation ortet Michael Frank nicht alleine bei den Speicherstrom-Produzenten. Der VSE-Direktor verweist auf das Stromversorgungsgesetz, das 2007 in Kraft trat und das sogenannte Unbundling (Trennen von Netz und Vertrieb bei Energieversorgungsunternehmen) einführte: «Das Unbundling hat zur Folge gehabt, dass der Gesamt-Überblick und die Gesamt-Verantwortung im Gegensatz zum früheren Monopolsystem, wo alles in eine Hand war, nicht mehr in einer Hand ist. Es gibt verschiedene Akteure, es gibt verschiedene Rollen, es gibt verschiedene Aufgaben, und die sind verteilt.»
Paul Niggli, Leiter Krisenmanagement Swissgrid, sagt, die Netzbetreiberin habe sehr wohl ihre Verantwortung wahrgenommen «Wir haben aus unserer Sicht das Gefühl gehabt, es sei in unserer Verantwortung, darauf hinzuweisen, dass es ein Problem geben könnte, wenn man weiter so produziert.» Zudem wies Swissgrid darauf hin, dass die angespannte Situation nicht einfach mit Stromimporten aus dem Ausland entschärft werden könne – etwa wenn in der Schweiz eine Kälteperiode einsetzt. Denn die Kapazität der heute vorhandenen Transformatoren sei nicht ausreichend.
Laut Paul Niggli sei ein Ausfall eines Kernkraftwerkes wie Beznau sicher abwickelbar mit dem heutigen Netz: «Wir können aber nicht gleichzeitig davon ausgehen, dass alle Speicherkraftwerke eine andere Fahrweise fahren als das normalerweise der Fall ist und dass wir dort dann auch noch unterschiedliche Massnahmen ergreifen müssten.»
Im Klartext: Dass die Stromproduzenten die Speicherseen gleichzeitig in allen Regionen leeren würden, sei nicht antizipierbar gewesen. Doch schon im Dezember sah der VSE die Verantwortung nicht bei den eigenen Mitgliedern. Kurz nach der Warnung von Swissgrid forderte der VSE in einer eigenen Medienmitteilung den Ausbau des Netzes.
«Riskante Speicherbewirtschaftung»
Dieses Anliegen kontert die staatliche Aufsichtskommission Elcom klar: Zwar sei ein Ausbau des Netzes ohnehin geplant, und aktuell werde analysiert, inwiefern die Ausbauplanung neu priorisiert werden müsse. Doch: «Der Ausbau der Netzinfrastruktur ist nicht sinnvoll, um eine riskante Speicherbewirtschaftung zu kompensieren.»