SRF: Das Internet ist heute zensuriert, kommerzialisiert und intransparent. Haben Sie damit gerechnet, als Sie es gründeten?
Tim Berners-Lee: Nein. Damals arbeiteten ja viele Leute zusammen daran: Schon 1969 und dann 1989, als ich das World Wide Web gründete. Damals sagte der bekannte politische Aktivist John Perry Barlow, es sei möglich, eine utopische Gesellschaft zu gründen, indem man über das Internet als Netzwerk kommuniziert. Man könne die alten Regeln umgehen, auch die der Regierungen, und alles sei «Friede, Freude, Eierkuchen». Aber wie Sie sehen, klappte es nicht.
Heute dominieren Regierungen und Unternehmen.
Ja, es ist ein Problem, dass sie Kontrolle ausüben. Aber auch die Art und Weise, wie die Menschen das Internet benutzen, ist problematisch. In sozialen Netzwerken sind sie nicht kreativ. Sie gestalten dort nicht das Internet. Ihre Freunde sehen Sie nur, wenn sie dieselben Seiten besuchen. Man ist dort wie in Silos: Einer für soziale Netzwerke, einer für Business-Netzwerke …
Die Art und Weise, wie die Menschen das Internet benutzen, ist problematisch.
Ist das nicht absurd: Man baut Wände im offenen World Wide Web?
Ja, das ist es!
Sind Sie besorgt?
Ja, ich bin persönlich frustriert. Ich rede viel mit Menschen darüber, dass man das Web wieder dezentralisieren müsste. Das ist heute mein grosses Anliegen.
Ist es technisch überhaupt möglich, das Internet in Ihrem Sinne neu zu erfinden?
Ja. Mein Team am M.I.T. arbeitet intensiv daran, und viele andere Universitäten tun es auch. Unternehmen und Startups beschäftigen sich damit. Es gibt eine richtiggehende Dezentralisierungs-Bewegung. Es sind zwar wenige Leute, aber sie glauben an ihre Mission.
Ich kann es jeweils in ihren Augen sehen. Sie leuchten wie damals, als das World Wide Web erfunden wurde. Sie glauben daran, dass es grossartig werde für die ganze Welt und auch für sie persönlich – falls es ihnen gelingt.
Wir werden das Problem also mit Hilfe von noch mehr Technologie lösen?
Ja, und indem wir die Leute befähigen, die Kontrolle über ihre Daten zu erlangen. Die Anwendungen, die sie benutzen, müssen wirklich für sie da sein, nicht für jemand anderen.
Das Gespräch führte Patrizia Laeri.