Was steht für 2016?
Die Frage war: Welches Wort prägt das laufende Jahr? Was ist aufgefallen? Gefiel? Missfiel? Wir baten euch um eure Vorschläge – und ihr habt uns gefüttert, gefüttert, zugetextet. Am Nachmittag des 7. Dezembers tagte dann die renommierte Jury. Nach einer mehrstündigen Diskussion stand schliesslich fest:
Das Wort des Jahres 2016 lautet: «Filterblase»
Begründung der Jury:
Paradox: Je vernetzter die Welt, desto isolierter ist das Individuum in seiner Nische von Gleichgesinnten. Das Internet schafft Blasen, die dem Einzelnen die Welt bedeuten, dann aber plötzlich platzen wie diejenige der Anhängerschaft Hillary Clintons, die am Wahltag des 8. November feststellen musste, dass sie sich trompiert hatte. Spätestens mit der Abstimmung über den Atomausstieg kam das Phänomen in der Schweiz an: Im eigenen digitalen Umfeld von Gleichgesinnten wähnt man sich in der Mehrheit. Diese virtuellen Räume, auch «Echokammern» genannt, in denen man stets nur in seinen eigenen Vorlieben und Ansichten bestätigt wird, sind vom Web-User nicht nur selbstgewählt, sondern werden durch Algorithmen verstärkt: Social Media wie Facebook sind so programmiert, dass Gleiche zu Gleichen und Gleichgesinnte zu Gleichgesinnten kommen. Damit sind sie just das Gegenteil dessen, was sie vorgeben, nämlich demokratisch zu sein. In Zeiten des «Postfaktischen» und von «fake news» verliert der Einzelne, ohne es zu merken, seine Deutungshoheit an eine Maschine.
Das Unwort des Jahres 2016 lautet: Inländervorrang light
Begründung der Jury:
Diese typisch schweizerische Wortschöpfung spiegelt die Mühen der Politik, einen Volksentscheid umzusetzen und dabei möglichst allen entgegenzukommen: Abstimmungssiegern wie -verlierern, der EU, den heimischen Stellensuchenden. Um die Kompromissbereitschaft und Abschwächung auszudrücken, die helvetischer Politik stets innewohnt, bedient man sich eines englischen Ausdrucks: light. Der Begriff ist verniedlichend und klingt so technisch, dass vergessen geht, dass es sich bei in- und ausländischen Arbeitssuchenden um Menschen handelt.
Der Satz des Jahres 2016 lautet:«Vielleicht müssen wir die Granaten in Zukunft ohne Logo liefern, damit niemand weiss, woher sie stammen.» – Andreas Glarner
Begründung der Jury:
Diesen Satz sagte der gewählte Volksvertreter Andreas Glarner am Vorabend des 1. August in einem Interview mit dem Aargauer Regionalsender Tele M1. Ein IS-Attentäter hatte bei einem Terroranschlag in der Türkei Schweizer Granaten eingesetzt, worauf in der Schweiz der Ruf nach einem Verbot von Kriegsmaterialexporten laut wurde. Der Satz erscheint der Jury als Inbegriff helvetischer «Das geht uns nichts an»-Mentalität – Waffen zu exportieren und sich um die Folgen, zum Beispiel Flüchtlinge, zu foutieren, ist zynisch.
Der Ausdruck des Jahres ist kein Wort, sondern «dabbing»
Begründung der Jury:
Die Geste, sich einen angewinkelten Arm vor die Stirn zu halten und den anderen im selben Winkel auszustrecken, wird zunehmend auch in der Schweiz von jungen Menschen verwendet. Populär gemacht wurde sie von Rappern aus dem Raum Atlanta, Georgia, und in der Folge von amerikanischen und europäischen Sportlern. «Dabbing» sagt als Ausdruck der Begeisterung in Zeiten optisch orientierter Medien wie Instagram mehr als tausend Worte. Die Jury fällt ihr Votum im Bewusstsein, dass «dabbing» damit auf einen Schlag uncool wird und «von gestern» ist.
Die Jury
Die Auswahl trifft auch dieses Jahr eine sechsköpfige Jury, deren Vorsitz Nora Zukker hat. Zukker ist bei SRF 3 für alles Lesbare zuständig und moderiert wöchentlich den Lesezunder. Ausserdem in der Jury sind:
- Gülsha Adilij: Kolumnistin und Moderatorin
- Bänz Friedli: Autor, Kolumnist und Kabarettist
- Renato Kaiser: Poetry-Slammer und Satiriker
- Nicola Steiner: «Literaturclub»-Moderatorin
- Daniel Quaderer: Autor