Das Internet der Dinge ist in aller Munde: Visionäre am WEF in Davos sprechen genauso darüber wie Präsident Obama oder Kanzlerin Merkel. Es geht um eine noch vernetztere Welt, in der jedes Ding – vom Blumentopf bis zum Auto – via Internet kommunizieren kann. Doch was ist damit konkret gemeint? Herausfinden kann man das in einem schlichten Bürogebäude in Zürich West, eingerahmt von Eisenbahngleisen. Hier basteln die beiden Informatiker Gonzalo Casas und Matthias Zimmermann gemeinsam an der Zukunft des Internets.
Diese Zukunft sieht so aus: ein Tupperware-Plastik-Gefäss mit ein paar blauen Legosteinen drin, darauf festgemacht zwei Leiterplatten mit Elektronik, ein paar Kabel und an der Seite eine kleine schwarze Antenne. Völlig unspektakulär – und doch etwas Besonderes, denn was die beiden Entwickler da präsentieren, ist eine der ersten Schweizer Basisstationen für ein komplett neues Funknetz. Sein Name: «Long Range Wide Area Network», kurz Lora.
Hohe Abdeckung, tiefer Verbrauch
«Lora ist ein Netz mit sehr grosser Reichweite und gleichzeitig sehr geringem Strombedarf», sagt Casas. Mit zehn simplen Basisstationen lässt sich die ganze Stadt Zürich abdecken. Das heisst: Von überall in der Stadt können sich dann kleine Sensoren ins Lora-Netz einklinken. Sensoren, die zum Beispiel anzeigen, ob ein Abfallkübel voll ist und geleert werden sollte. Sensoren am Velo, die Alarm schlagen, wenn sich das Velo bewegt, weil ein Dieb es mitnimmt. Oder Sensoren, die den Lärmpegel messen.
So wie jener Sensor, den Zimmermann zusammengebaut hat. Er liegt auf dem Büro-Balkon und misst den ganzen Tag, wie laut es ist. Die Daten wandern dann per Funk zur Basisstation im Tupperware. Und weil diese Basisstation am normalen Internet hängt, kann man die Messwerte von überall auf der Welt her einsehen. Ein solcher Sensor allein nützt allerdings noch nicht viel, darum will Zimmermann viele solche Sensoren in der ganzen Stadt Zürich verteilen.
«Das Ziel wäre so etwas wie eine Echtzeit-Lärmkarte», sagt der Entwickler. Er ist begeistert von der Lora-Technik, weil sie so wenig Energie braucht. Man muss die Batterien der Sensoren nur selten wechseln, manche nur alle paar Jahre. Das ist praktisch, und ausserdem ist die Technik billig: Eine Basisstation kostet einige hundert Franken, ein einfacher Sensor um die fünf Franken.
Lora-Organisationen
«Wie können alles selber machen», so Casas. «Es braucht keine teuren Mobilfunkmasten, keine SIM-Karte und kein Mobilfunkabo.» Lora ist ein Do-It-Yourself- Internet, an dem Amateure rund um die Welt mitbauen – in Amsterdam, Buenos Aires, Johannesburg und in Zürich. Verbunden sind die Bastler über das «The Things Network», das mit einer Crowdfunding-Kapmagne letztes Jahr gut 300'000 Euro für die Lora-Technik gesammelt hat.
Der Enthusiasmus ist gross. Doch was sagen eigentlich die klassischen Netzbetreiber dazu? Ist die neue Technik für Sie eine Bedrohung? Nein, meint Gerhard Schedler, der sich bei der Swisscom mit Lora befasst. Denn Lora kann das Mobilfunknetz nicht ersetzen. Man kann damit nur sehr kleine Datenmengen transportieren; für Gespräche oder Videos hingegen ist das neue Netz nicht geeignet.
Vernetzte Parkplätze und Lagerhallen
Trotzdem ist auch die Swisscom in die Technik eingestiegen. Zum Beispiel mit einem Pilotprojekt beim Schloss Lenzburg. «Wir vernetzen dort Parkplätze, die dann melden, ob sie belegt sind oder nicht. Dadurch wissen die Leute, wo es noch freie Plätze gibt», so Schedler. Zurzeit wird die Parkplatz-Belegung auf einer Tafel elektronisch angezeigt. Die Swisscom denkt aber darüber nach, eine entsprechende App fürs Mobiltelefon zu entwickeln.
Und die Schweizerische Post zieht nach. Am 2. März teilte das Unternehmen mit, dass es mit Hilfe der Lora-Technik ein Netzwerk aufbauen und verschiedene Einsatzzwecke testen will. Als eins von vielen Beispiel nennt die Post einen Service für Logistikkunden, die dann beliefert werden könnten, wenn in ihrem Lager Platz frei wird. Ein erstes Testnetz soll Ende März auf der Achse Bern-Biel in Betrieb gehen.
Perspektiven in vielen Bereichen
Mit Lora wird das schwammige Konzept vom «Internet der Dinge» konkret greifbar. «Das Thema ist angekommen; die Vision wird umgesetzt», so Swisscom-Fachmann Schedler. Er ist sich sicher, dass die Technik noch viele interessante Anwendungen möglich machen wird. Sei es bei sprechenden Abfallkübeln, diebstahlsicheren Velos oder auch im Medienbereich, wo zum Beispiel Tamedia mit der Lora-Technik demnächst herausfinden will, wann jeweils die Zeitungsboxen leer sind.
Noch ist die Technik so jung, dass viele verschiedene Firmen daran gemeinsam arbeiten. Man spannt mit der Konkurrenz zusammen – auch mit den Amateuren. Denn Industrie und Bastler haben dasselbe Ziel: eine Welt, in der unsere Dinge mit uns kommunizieren.