Am 5. Januar 2002 änderte sich mein Leben auf drastische Weise. An diesem Tag fuhr ich mit Freunden in die Berge, um Snowboard zu fahren. Nach einem schweren Sturz barst mein zwölfter Brustwirbel. Knochensplitter bohrten sich in mein Rückenmark und zerstörten die meisten Nerven, die bis dahin meine Beine mit Befehlen aus meinem Hirn versorgt hatten. Seit diesem Tag kann ich meine Füsse nicht mehr bewegen und grosse Teile meiner Beckenmuskulatur sind gelähmt. Auch Blasen- und Darmfunktion sind beeinträchtigt.
Ein Leben im Rollstuhl
Nach meinem Unfall wurde ich mehrere Monate im Paraplegikerzentrum des Balgrist-Spitals in Zürich rehabilitiert. Weil die Ärzte und Physiotherapeuten davon ausgingen, dass ich nie mehr wirklich gehen würde, bereitete man mich auf ein Leben im Rollstuhl vor. Ich lernte über Hindernisse zu balancieren und sogar über kleinere Treppen zu fahren. Weil meine Beine noch sogenannte «Restfunktionen» hatten, übte man mit mir gleichzeitig auch das Gehen. Unter anderem mit Hilfe des Lokomats, einem stationären Roboter.
Heute kann ich dank neuartiger Karbon-Orthesen und mit Hilfe altmodischer Stöcke erstaunlich gut gehen. Wenn ich mich als sogenannt «Inkompletter» mit anderen Paraplegikern vergleiche, fühle ich mich wie ein Einäugiger unter Blinden. Als Fussgänger bin ich privilegiert und werde weder durch bauliche noch soziale Hindernisse ausgegrenzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die mit einer ähnlichen Einschränkung leben, werde ich durch nichts und niemanden behindert.
So wie ich mich sehe, bin ich also weder behindert, und schon gar nicht wertlos oder invalide, sondern «physically challenged». Eine furchtbar ungelenke Wortkreation aus den USA, die es aber ironischerweise auf den Punkt trifft: Denn meine beschädigte Physis fordert mich jeden Tag aufs Neue heraus. Es ist kein Zuckerschlecken sich mit zwei gelähmten Füssen vorwärtszuwerfen. Ich bin langsam und alles andere als agil, mehr aber auch nicht.
Die Hoffnung dämpfen
Wegen meiner Beeinträchtigung fiel mir die Broschüre vom Cybathlon deshalb sofort auf. Sie lag in einem Wartesaal der Technischen Orthopädie des Balgrist. Dorthin war ich im Frühling 2015 für die Anfertigung neuer High-Tech-Fussheberorthesen gefahren.
Beim Warten zur Anprobe blätterte ich durch die Broschüre und fand die Idee hinter dem Cybathlon auf Anhieb bestechend: Eine Mischung aus Paralympics und Roboterwettkampf.
Naheliegenderweise interessiere ich mich sehr für technische und medizinische Forschung, die meine Einschränkung mindern oder sogar heilen könnte. Denn obwohl ich mit meiner Beeinträchtigung gut leben kann, sie bleibt lästig und ich würde sie gerne wieder loswerden. Wenn ich also von neuen Durchbrüchen in der Forschung lese, löst dies bei mir – und wohl auch den meisten meiner «Leidensgenossen» – gemischte Gefühle aus. Einerseits hoffe ich natürlich, dass schlaue Köpfe etwas gefunden haben, dass mich wieder «auf die Beine» bringt. Andererseits versuche ich gleichzeitig meine Hoffnung zu dämpfen, um mich vor einer Enttäuschung zu bewahren.
Wie verändert sich das Selbstempfinden?
Aus diesem Grund habe ich den Hauptfokus des Filmes vor allem auf die emotionalen Auswirkungen gesetzt, die der Cybathlon auf die Protagonisten hat. Mich haben weniger die technischen und sportlichen Aspekte interessiert, dafür umso mehr die Gefühle, welche die Vorbereitung zu den ersten «Bionischen Spielen» bei den Betroffenen auslöst. Welche Hoffnungen verbinden sie mit der Teilnahme? Welche Erfolgserlebnisse und Enttäuschungen erleben sie auf dem Weg zum Cybathlon und wie verändert die Technologie ihr Leben und ihr Selbstempfinden? Schaffen es die Forscher überhaupt Geräte zu bauen, die den Betroffenen wieder auf die «Beine helfen»? Und, ist dies überhaupt nötig?
Auch für die jungen Forscher, die ich im Film porträtiere, ist die Vorbereitung zum Cybathlon in erster Linie eine emotionale Reise. Ich war erst erstaunt, wie überzeugt sie von ihrer Technik sind. Für die Maschinenbau-Studenten besteht kein Zweifel daran, dass in einigen Jahren Querschnittsgelähmte dank Exoskeletten nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen sein werden. Eine Einschätzung, die ich nur bedingt teile. Nichtsdestotrotz hat es mich berührt, wie engagiert sich die jungen Wissenschaftler einsetzen
Die High-Tech-Prothesen, Exoskelette und Rollstühle, die am Cybathlon vorgeführt werden, sind für mich denn auch viel mehr als nur ausgeklügelte Maschinen. Sie sind «fleischgewordene» Hoffnung. Sie versprechen ein fehlendes Bein, einen verkümmerten Arm komplett zu ersetzen. Ja vielleicht sogar zu verbessern. Wahrscheinlich stehen wir tatsächlich an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. In nicht mehr allzuferner Zukunft wird die Robotik so ausgereift sein, dass sie tatsächlich Gliedmassen gleichwertig ersetzen kann.
Beginn des Zeitalters der Cyborgs
Spannend dabei ist, dass ausgerechnet Menschen mit körperlichen Behinderungen die Avantgarde dieser Entwicklung bilden. An, oder mit uns Beschädigten wird die Technologie getestet, welche die Tür zum Zeitalter der Cyborgs, der Mensch-Maschinen à la Terminator aufreisst. Ob sich die Macher des Cybathlon der Tragweite ihrer Forschung bewusst sind, hinterfrage ich im Film. In gewisser Weise geben die involvierten Wissenschaftler mit ihrer Forschung nämlich ein Versprechen ab, ein Heilsversprechen gar. Sie malen die Vision einer Welt ohne körperliche Einschränkungen. Ohne körperliches Leid.
Obwohl ich selbst von technischen Entwicklungen direkt profitiere, und sie mir auch herbeisehne, beobachte ich diese Entwicklung mit einiger Skepsis. Mein Interesse am Cybathlon geht deshalb auch weit über meine eigene Betroffenheit hinaus. Schliesslich geht uns die Entwicklung, die der Cybathlon öffentlich macht, alle an. Die Austragung von Bionischen Spielen und der Beginn des Cyborg-Zeitalters werfen viele ethische, philosophische und sogar juristische Fragen auf.
Mein Film über den Cybathlon kann nicht alle diese Fragen beantworten. Er zeigt aber aus der Sicht der Akteure worum es geht und was emotional für sie auf dem Spiel steht. Er zeigt die Hoffnung, welche Hochtechnologie in uns Versehrten aufkeimen lässt und die widerstrebenden Gefühle, die sie in uns auslöst.