SRF «Einstein»: Herr Hatt, wie kann gezieltes Riechtraining das Hirn jung halten?
Hanns Hatt: Die Nase sendet mit jedem Atemzug Informationen über Düfte um uns herum ans Hirn – direkt an das Erinnerungs- und das Emotionszentrum. Deshalb erschliessen Düfte einen ungefilterten Zugang zu unseren Gefühlen und Trieben. Es sind die am dauerhaftesten abgespeicherten Informationen in unserem Gehirn. Wenn wir bewusst riechen, also die Emotionen und Erinnerungen zulassen, die ein Duft auslöst, dann werden ganz viele Zentren im Gehirn aktiviert. Sehr viel mehr als beim so genannten Hirnjogging mit Zahlenspielen oder Sudoku. Damit verbessern wir zwar unsere Rechenleistung, aber nicht die gesamte Gehirnleistung.
Ist Riechen denn so anspruchsvoll fürs Gehirn?
Es ist extrem anspruchsvoll. Riechen ist das komplexeste Sinnessystem, das wir überhaupt haben. Wir haben 350 verschiedene Riechrezeptoren, an denen Duftmoleküle andocken können. Jeder Rezeptor ist auf ein bestimmtes Molekül spezialisiert. Es ist wie ein Duftalphabet aus 350 Buchstaben. Die meisten Gerüche sind komplexe Kombinationen von Duftstoffen.
Düfte setzen sich aus diesem Duftalphabet zusammen wie Wörter?
Jeder Duft kann aus 100 bis 150 «Buchstaben» bestehen. Erst wenn unser Gehirn diese langen Duftwörter auswendig gelernt hat, kann es den Duft wiedererkennen. Das normale Alphabet hat 26 Buchstaben, und wenn ein Wort mal länger als 10 bis 15 Buchstaben ist, haben wir schon Schwierigkeiten, es uns zu merken. Da sieht man, wie kompliziert das Lernen von Düften ist. Beim Riechtraining geht es vor allem darum, viele neue Gerüche kennen zu lernen.
Warum ist es so wichtig, den Geruchsinn zu trainieren?
Der Geruchsinn nimmt mit dem Alter ab. Wir wissen, dass ein Drittel der über 70-Jährigen ihren Geruchsinn weitgehend verloren haben. Viele Erinnerungen, die an einen Duft gekoppelt im Gehirn gespeichert wurden, können sie nicht mehr abrufen. Für die Nase gibt es kein Hilfsmittel wie eine Brille oder ein Hörgerät. Das einzige, was wir tun können, um unseren Riechsinn fit zu halten, ist trainieren – mindestens einmal am Tag. Damit kann man den Verlust des Riechsinns deutlich hinauszögern.
Kann Riechtraining intelligenter machen?
Das hat meines Wissens noch kein Forscher getestet. Aber man wird sicherlich glücklicher, denn man wird plötzlich ganz neue Dinge wahrnehmen. Ich sage immer: Wir sollten nicht nur mit offenen Augen, sondern auch mit offener Nase durch die Welt gehen.
Tipps fürs Riechtraining
«Riechen Sie an Früchten, Kräutern und allem, was duftet oder stinkt», empfiehlt Hanns Hatt in seinem «Kleinen Buch vom Riechen und Schmecken». Hier einige seiner Trainingstipps:
Schnuppern im Kräutergarten
Stecken Sie zehn verschiedene Gartenkräuter in Gläser. Öffnen Sie zunächst nur zwei Gläser und beschreiben Sie den Geruch der Kräuter. Vergleichen Sie sie und probieren Sie davon. Öffnen Sie mit jedem Trainingsdurchgang ein Glas mehr. Es eignen sich zum Beispiel Basilikum, Rosmarin, Pfefferminz, Zitronenmelisse, Salbei, Kerbel, oder Sauerampfer.
Riechrundgang durchs Haus
Ob Wohnzimmer, Bad oder Keller – jedes Zimmer unserer Wohnung riecht anders. Aber wonach? Machen Sie einen Streifzug durch ihr Haus. Wie riecht der Dachboden? Stellen Sie sich einige Alltagsdinge zusammen: Können Sie Zahnbürste, Shampoo oder ein Sofakissen nur am Geruch erkennen?
Der Nase nach zur Arbeit
Was zuhause funktioniert, klappt natürlich auch auf dem Weg zur Arbeit. Gehen Sie ihn einmal mit offener Nase! Wie viele verschiedene Gerüche nehmen Sie wahr? Wo duftet es, wo stinkt es? Riecht es jeden Tag gleich? Vielleicht gibt es sogar eine Duftspur, der Sie folgen können.
Training für Weinkenner
Um Weinkenner zu werden, braucht es viel Übung. Schon bevor Sie einen Wein probieren, schauen Sie auf die Informationen auf dem Etikett. Sammeln Sie Infos über die wichtigsten Weinanbaugebiete, z.B. in Frankreich und Italien, und dann testen Sie (erst riechen, dann schmecken!): Welche Rebsorten schmecken wie? Versuchen Sie, die Weine zu beschreiben.
Riechspiele für Kinder
Riechtraining kann auch ganz spielerisch sein. Bereiten Sie Riechproben vor (es darf ruhig auch mal ein wenig stinken), stecken Sie sie in Gläser und dann wird der Deckel für jeden Mitspieler ein wenig geöffnet. Gewinner ist, wer die meisten Sachen erraten kann. Es macht auch Spass zu schauen, ob man Geschwister und Eltern am Geruch erkennt. Oder den Weg zur Schule anhand des Geruches findet.