Jérôme Lacaille ist kein Nerd. Er ist schlank; der blaue Businessanzug sitzt perfekt, die Krawatte ist farblich abgestimmt. Ruhig sitzt er da und erklärt seine Welt. Es ist eine ganz andere Welt als jene seiner Kollegen im Büro. Lacaille arbeitet seit sieben Jahren mitten unter Flugzeug-Ingenieuren bei Safran. All seine Kollegen entwickeln Triebwerke für Flugzeuge, sehr zuverlässige Motoren. Sie zählen zu den besten der Welt.
«Flugzeug-Ingenieure rechnen konservativ. Sie wollen immer auf der sicheren Seite sein», erklärt Jérôme Lacaille. Das zeigt sich zum Beispiel beim Unterhalt von Triebwerken. Aus langjähriger Erfahrung kennen die Ingenieure die normale Abnutzung ihrer Motoren. Sie haben berechnet, nach wie vielen Flugstunden ein bestimmtes Teil zu ersetzen ist. Die Rechnung ist so vorsichtig, dass bei der Revision der Motoren fast immer neuwertige Teile eingebaut werden.
Analysen statt Durchschnittswerte
«Im Grunde genommen gälte es aber, jedes Triebwerk individuell zu betrachten – und nicht ausgerichtet auf einen durchschnittlichen Einsatz», sagt Lacaille. Also hat der Mathematiker anhand von komplexen Formeln ein ebenso komplexes Unterhaltssystem entwickelt. Darum stellte ihn sein Arbeitgeber ein: Er sollte die Wartung mit Daten-Analysen auf eine neue Grundlage stellen.
Dafür benötigten er und sein kleines Team von Mathematikern und Informatikern viele Monate. Mehrere Doktoranden suchten nach den richtigen Formeln, sammelten Daten, suchten nach Möglichkeiten, daraus sinnvolle Erkenntnisse zu gewinnen und optimierten das System fortlaufend.
Vielfältige Einflüsse, zahllose Daten
Schliesslich ist kein Flugzeugmotor wie der andere. Die Belastung jedes Triebwerks variiert – abhängig vom Typ des Flugzeuges, an dem es hängt, abhängig von geflogenen Strecken, von den Wetterbedingungen beim Landen und Starten. Und abhängig davon, wie lange der Motor bei normaler Belastung in der Luft war, welche Flughäfen das Flugzeug anfliegt, wie viele Starts und Landungen ein Flieger macht.
So erschloss sich Safran mit Hilfe von Big-Data nach und nach ein neues Geschäftsfeld. «Früher funktionierte ein Motor einfach; von Zeit zu Zeit haben wir ihn neu eingestellt. Heute überwachen wir einen Motor kontinuierlich», sagt Jérôme Lacaille nicht ohne Stolz, um gleich bescheiden anzufügen: «Alle reden von Big-Data; so einfach ist es aber nicht; das braucht viel Wissen und die richtigen Leute. Das bauen wir nur langsam auf.»
Eine Chance für Technik-Talente
Die grösste Hürde zur Zeit: Spezialisten finden. Darum spannt Safran mit den Technischen Hochschulen Télécom ParisTech und der École Polytechnique zusammen. Anfang Oktober begannen 35 Studierende mit einem Master-Studiengang für hoch-spezialisierte Daten-Mineure, um die Anwendung von Big-Data-Technologien von Grund auf zu erlernen (siehe Kasten rechts). Überall in Europa entstehen an Hochschulen solche Angebote. Denn die europäischen Hochschulen haben gegenüber den USA einen Rückstand aufzuholen.
Patrick Duvaut, Forschungsleiter der Telecom ParisTech, erkennt darin aber auch eine Chance. Das eröffne nun die Möglichkeit, die Ausbildung breiter zu verankern – vor allem auch in Bezug auf den sicheren Umgang mit Daten. «In Europa können wir uns gegenüber anderen absetzen, wenn wir von Beginn weg auch ethische Fragen in die Ausbildung integrieren», sagt er «Fragen des Datenschutzes zum Beispiel, die in der klassischen Ingenieur-Ausbildung bisher fehlten.»