- Studie zeigt: Ausländer finden Thurgauerdeutsch nicht weniger schön als Berndeutsch.
- Grund für die Unbeliebtheit in der Schweiz sind angelernte Urteile, nicht der Klang.
- Kinder übernehmen diese Urteile erst im Verlauf der Schulzeit.
Man könnte meinen, Thurgauerdeutsch komme in der Liste der unangenehmen Geräusche nur knapp hinter dem Klang kratzender Fingernägel auf einer Wandtafel. «Penetrant», «aggressiv», «so im Hals hinten», tönte es bei einer Umfrage von «Einstein». Manchen tut er sogar «in den Ohren weh».
Berndeutsch dagegen: «gemütlich», «weich», «urchig». Auch Bündner- oder Walliserdeutsch sind beliebt.
Wie kommen diese unterschiedlichen Bewertungen zustande? Liegt es am «R» der Thurgauer, das weit hinten im Hals gebildet wird (siehe Box)? Oder an den offenen, «musikalischen» Vokalen der Berner?
Die Antwort der Wissenschaft
«Damit hat es höchstens am Rande zu tun», sagt Adrian Leemann. Der Schweizer Sprachwissenschaftler (und Erfinder der «Dialäkt-App») beschäftigt sich seit Jahren mit Dialekt-Phänomenen. Zur Frage, weshalb Berndeutsch so viel beliebter ist als Thurgauerdeutsch, hat er eine Studie, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen durchgeführt.
Um dem Phänomen objektiv auf den Grund gehen zu können, befragte er Schweizer Studierende. Er spielte ihnen berndeutsche und thurgauerdeutsche Sätze vor. Die Sätze waren von derselben Sprecherin eingesprochen worden, die beide Dialekte muttersprachlich spricht. Daraufhin mussten sich die Probanden entscheiden, welcher Satz schöner geklungen habe.
Schönheitsurteile über Sprachen hängen nicht vom Klang ab.
Zudem führten Leemann und seine Mitstreiter Marie-José Kolly und Francis Nolan das gleiche Prozedere auch mit Studierenden in Paris und Cambridge durch. Probanden also, die vom Gesagten kein Wort verstanden, keine emotionale Bindung zu den Dialekten hatten und deshalb einzig und allein den Klang bewerten konnten.
Studie rehabilitiert Thurgauer
Resultat bei den Ausländern: eine Zufallsverteilung von nahezu 50:50. Leemanns unvoreingenommene Testpersonen fanden beide Dialekte genau gleich schön oder hässlich. In der Schweiz führte der Test hingegen zu einem deutlich anderen Resultat: Die Probanden an der Uni Zürich fanden Berndeutsch in fast 70 Prozent der Fälle schöner (siehe Grafik).
Adrian Leemann erstaunt das Ergebnis nicht: «Die Forschung hat immer wieder gezeigt, dass Schönheitsurteile über Dialekte nicht vom Klang abhängen, sondern eher von unseren Erfahrungen und Vorurteilen über eine Region und deren Bevölkerung.» Die Vorurteile würden erst in einem zweiten Schritt mit der Sprache in Verbindung gebracht.
Man hat also nicht Vorurteile wegen des «hässlichen» Dialekts, sondern findet den Dialekt wegen der Vorurteile unschön. Ein Laut könne nicht objektiv schön oder hässlich sein – erst unsere emotionalen Verknüpfungen sorgten für solche Urteile.
Woher die Unbeliebtheit?
Dass Ausländer Thurgauerdeutsch ebenso mögen wie Berndeutsch, zeigt auch ein Test von «Einstein». Warum also kämpfen die Ostschweizer Dialekte hierzulande mit so viel Ablehnung?
«Dazu liefert die Forschung keine eindeutigen Antworten», sagt Leemann. «Sicher haben es die Kantone Bern, Wallis und Graubünden einfacher, weil sie als klassische Feriendestinationen mit positiven Erlebnissen verknüpft werden.»
Fest steht aber: Negative Einstellungen gegenüber Sprachen sind angelernt. Eine Studie aus Italien zeigt, dass sich die Vorbehalte ab dem Alter von 7 bis 10 Jahren stabilisieren – also erst nach der Einschulung. In der Schweiz dürfte das nicht anders sein: Oder welches Kind hat sich jemals über den St. Galler Dialekt von Trudi Gerster auf der Märchenkassette beklagt?