In der Biologie beschreibt Dichtestress einen extremen Stresszustand in Tierpopulationen. Der Stress schädigt die Tiere so stark, dass einige gar daran sterben. Ein Lehrbuch-Beispiel sind die Sika-Hirsche von der James-Insel. Diese ursprünglich asiatische Hirschart sollte Anfang des 20. Jahrhunderts auf einer Insel in der amerikanischen Chesapeake Bay angesiedelt werden. Vier Sika-Hirsche wurden. Sie vermehrten sich im Eiltempo und 1955 lebten bereits 300 Hirsche auf der Insel. Die Tiere waren allesamt kerngesund. Doch nur drei Jahre später starb die Hälfte der Tiere.
Der Grund waren weder Seuchen noch Hunger, sondern Dichtestress. Es gab so viele Hirsche, dass sich die Tiere ständig in die Quere kamen und sich bekämpften. Dabei schütteten sie Unmengen an Stresshormonen aus und schädigten so mit der Zeit ihre Nieren. Direkte Todesursache war denn auch Nierenversagen.
Ähnliche Beobachtungen gibt es auch bei Feldmäusen und vielen anderen Tieren, die dazu neigen, sich stark zu vermehren. Der Stress kann sich auch weniger drastisch auswirken. Bei einigen Tieren führt er vor allem zu einer reduzierten Fruchtbarkeit und weniger Geburten. Der Effekt ist jedoch immer der gleiche: Der Dichtestress sorgt für eine natürliche Regulation.
Solche Mechanismen der Biologie mögen brutal anmuten, doch sie sind äusserst effektiv und haben sich in Jahrmillionen der Evolution herausgebildet. Wer dabei trotzdem Mitleid verspürt mit den Feldmäusen und den Sika-Hirschen, der verfällt einer anthropozentrischen Sichtweise, vermenschlicht die Natur also auf unzulässige Art und Weise. Die anthropozentrische Sicht hat in der Biologie jedoch nichts verloren. Ob andersherum die Biologie in der Politik etwas verloren hat, das ist wohl zumindest diskussionswürdig.