Damit wir billige Kleider kaufen können, bezahlen zehntausende von Textilarbeiterinnen und -arbeitern einen hohen Preis: Sie arbeiten unter schlechten Bedingungen für tiefe Löhne. Oft verdienen sie so wenig, dass eine kleine Familie von diesem Einkommen nicht leben kann.
Die entwicklungspolitische Organisation «Erklärung von Bern» lanciert daher eine Kampagne für einen Existenzlohn in der Textilindustrie. In einer Umfrage dazu schnitten die meisten Schweizer Textilfirmen ungenügend ab.
18 grosse Schweizer Textilfirmen haben von der «Erklärung von Bern» einen Fragebogen erhalten. Im Fokus stand die Frage, wie sich diese Firmen konkret dafür einsetzen, dass ihre Produzenten und Lieferanten existenzsichernde Löhne bezahlen.
Von den 15 Firmen, welche den Bogen zurücksandten wurden zehn als «ungenügend» und drei als «nachlässig» eingestuft. Das Prädikat «gut» erhielt keine der Firmen, auch Vorzeigefirmen wie Switcher («Auf dem Weg») oder Nile («nachlässig») nicht.
«Kaum konkrete Schritte von Schweizer Kleiderfirmen»
Mit ihrem Firmencheck will «Erklärung von Bern» (EvB) den Druck auf die Schweizer Textilfirmen erhöhen. Bereits 2010 hatte sie Firmen zu ihrem sozialen Engagement befragt.
EvB-Kampagneleiterin Christa Luginbühl: «Vier Jahre danach sehe ich bei der überwiegenden Mehrheit der Textilfirmen überhaupt keine konkreten Schritte.»
Aus ihrer Sicht würden lediglich Nile und Switcher ein wenig herausstechen: «Von diesen gibt es erste Überlegungen, wie sie die Löhne nach oben korrigieren könnten.»
Die «Erklärung von Bern» fordert, dass sich Schweizer Textilfirmen nicht mehr hinter Absichtserklärungen verstecken oder die Verantwortung an andere abschieben.
Sie sollen es selber anpacken, dass die Angestellten ihrer Produzenten und Zulieferer Existenzlöhne erhielten. Dafür brauche es auch klare Aussagen, wie hoch der jeweilige Existenzlohn sein müsse.
Kleiderfirmen verweisen auf eigene Initiative
Viele der negativ beurteilten Schweizer Kleiderfirmen weisen die Kritik der EvB zurück. Sie verweisen darauf, dass sie Mitglied der Brancheninitiative BSCI (Business Social Compliance Initiative) seien.
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Die Firma Strellson schreibt in ihrer Stellungnahme an «Espresso» beispielsweise: «Der neue BSCI-Verhaltenskodex folgt dem Konzept einer fairen Entlöhnung.»
Die EvB hält dem entgegen, dass die BSCI ihre Mitglieder nur zum gesetzlichen Mindestlohn verpflichte, nicht zum Existenzlohn. Und die Mindestlöhne seien in vielen Ländern derart tief, dass sie zum Leben nicht reichen würden – schon gar nicht für eine Familie.
Erstaunlich ist, dass auch Kleiderfirmen, die sonst als vorbildlich gelten, im EvB-Firmencheck nur mässig abgeschnitten haben.
Kevin Willy von Nile kann die Einstufung seiner Firma als «nachlässig» denn auch nicht verstehen und ist sehr erstaunt darüber: «Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel unternommen. So haben wir in Shanghai ein eigenes Büro eröffnet. Ein Schwerpunkt dieses Büros ist es, bei unseren Produzenten die Standards zu überprüfen.»
Die fünf Asien-Mitarbeiter von Nile würden dafür jeden Produzenten im Zwei-Wochen-Rhythmus persönlich besuchen.
Neue App präsentiert EvB-Firmencheck
Für die Konsumenten hat die «Erklärung von Bern» die Ergebnisse ihrer Firmenbefragung in einer App zusammengefasst. Sie heisst «Fair Fashion» und ist in Zusammenarbeit mit der Clean Clothes Campaign entstanden, welche sich weltweit für fair produzierte Kleidung einsetzt.
Sie umfasst daher auch mehr als die 18 von der EvB befragten Schweizer Kleiderfirmen. In der App können Konsumenten nachschlagen, wie eine Kleiderfirma beim Thema Existenzlohn abschneidet.
Sie finden auch weitere Informationen, welche beim Kleiderkauf zum Nachdenken anregen sollen.
Uniformen aus Mazedonien: Schweizer Armee
Schweizer Firmen lassen ihre Berufskleider in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien herstellen – zu Tiefstlöhnen. «Kassensturz»-Recherchen vor zwei Jahren zeigten: Auch für die Schweizer Armee nähen Mazedonierinnen Uniformen. Zum Artikel