Wissenschaftlich untersuchte Angebote
Er sitzt seit rund 30 Minuten in seinem kleinen Heimbüro am Computer. Immer wieder bewertet Stefan N.* Aussagen, die das Programm ihm anbietet: «Innerhalb der letzten 24 Stunden habe ich mir Sorgen gemacht.» Er denkt kurz nach und klickt dann auf eine der fünf möglichen Antworten: «Trifft eher zu.»
Zwischendurch wird er auch direkt angesprochen: «Es hilft Ihnen, die eigene Stimmung regelmässig zu beobachten.» Er klickt wieder: «Ich verstehe, mal schauen, ob ich das auch regelmässig schaffe.»
Stefan N. absolviert ein achtwöchiges Online-Therapieprogramm, das ihm helfen soll, mit seinen neuen Stressfaktoren aktiv umzugehen.
Denn im letzten Winter erhielt er die Diagnose Krebs. Angst vor dem Tod und vor allem, was ein solcher Befund mit sich bringt, prägten ab diesem Moment viele seiner Gedanken. Lebensgefahr, Chemotherapien, Spitalaufenthalte, Operationen und die Sorgen, wie das Umfeld und die Familie wohl reagieren – eine grosse Belastung. Ein psychischer Stress, gegen den man ihm Hilfe anbot.
Nach ein paar klassischen Sitzungen mit einer Psychoonkologin wurde er im Rahmen einer Studie auf die Online-Psychotherapie angesprochen. Wöchentlich bearbeitet er nun zuhause selbstständig die Module, welche ihn rund 40 bis 50 Minuten Zeit kosten. Inhaltlich unterscheidet sich das Online-Programm kaum von einer klassischen Psychotherapie, lediglich der persönliche Kontakt zum Therapeuten fehlt.
Kann das funktionieren?
Die Wirksamkeit solcher Programme war lange sehr umstritten. Denn die persönliche Beziehung zwischen Psychologen und Patienten gilt als wichtig in der klassischen Psychotherapie. Unterdessen liegen aber nach intensiven Forschungsjahren über 100 randomisierte Studien vor, die die Wirksamkeit von Online-Psychotherapien belegen. «Online-Therapien zeigen im Schnitt Behandlungseffekte, die mit der Wirkung konventioneller Psychotherapien vergleichbar sind», sagt der Psychologe Thomas Berger, der eine Professur an der Universität Bern auf diesem Gebiet innehat.
Experten-Chat
Vor allem im Bereich der Depression, der sozialen Ängste, bei posttraumatischen Belastungsstörungen und Panikstörungen sind die verschiedenen Programme gut erforscht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Für Menschen mit sozialen Ängsten könne ein Online-Angebot den ersten Schritt für eine Therapie erleichtern, weil nur schon die Kontaktaufnahme mit dem Psychologen per Telefon für Betroffene eine grosse Hürde sei, sagt Thomas Berger: «Die Möglichkeit, anonym zu bleiben, erlaubt Patienten, zusätzlich Probleme schneller und offener anzusprechen.» Dazu kommt auch die Unabhängigkeit von Raum und Zeit, wodurch Online-Interventionen auch neue Zielgruppen erschliessen.
Nichts für akute Krisen
Natürlich haben die Programme auch ihre Grenzen: «In akuten Krisen sind Online-Therapien nicht geeignet, weil eine angemessene unmittelbare Reaktion kaum möglich ist», sagt Berger. Vor allem Menschen, die sich etwas antun könnten, würden von solchen Angeboten ausgeschlossen und an geeignete Stellen verwiesen, so der Berner Forscher. Hinzu kommt: Die guten Resultate aus den Studien werden nur erreicht, wenn die Online-Therapien tatsächlich von einem Psychologen begleitet werden. «Entscheidend ist, dass ein Kontakt zu einer Fachperson besteht, wenn auch nur kurz und schriftlich, damit die Motivation hoch bleibt», sagt Berger.
Mit seiner echten Psychologin hat auch Stefan N. nur einmal die Woche Kontakt. Er bespricht dann den Fortschritt der Therapie und allfällige Fragen, die ihn noch beschäftigen. «Man muss schon sehr diszipliniert sein, die Module durchzuführen. Doch mir hat es sehr viel gebracht», sagt Stefan N. nach Abschluss des Programms. Dass er dabei nur wenig Kontakt mit einer richtigen Psychologin hatte, störe ihn nicht.
*Name der Redaktion bekannt.