Ständige Nachrichten, Nachspionieren oder Auflauern – Stalking hat viele Gesichter. Doch warum wird jemand zum Stalker? Darüber haben wir mit Stefan Martin vom Männerbüro Zürich gesprochen.
SRF: Warum wird jemand zum Stalker?
Stephan Martin: Eine einheitliche Antwort ist schwierig. Aber ich glaube, oft geht es um Bindungsschwierigkeiten. Dass man nicht gelernt hat, sich adäquat zu trennen. Zu wissen: Wann ist Schluss? Und auch nicht mit Ablehnung umgehen zu können.
Welche Menschen kommen in eine Beratung?
Grundsätzlich ist es ein bunter Blumenstrauss an Männern, die zu uns kommen – vom Banker bis zum Strassenbauer ist alles dabei. Es kommt auf den Kontext an: Ist es eine Zuweisung über die Staatsanwaltschaft wegen eines Gewaltdeliktes? Oder ist es ein Selbstmelder, der Gewalt ausgeübt hat und sein Verhalten ändern will?
Und wie sieht es bei denen aus, die Stalking ausüben?
Sehr schwierig. Stalking ist gesellschaftlich gesehen sehr schambehaftet. Da spielt auch die Popkultur mit: der Stalker von Whitney Houston im Film «Bodyguard» zum Beispiel. Da hat man immer das Gefühl, der Stalker ist solch eine kranke Persönlichkeit.
Anstatt bei der Ex-Partnerin vor dem Haus zu stehen: Was könnte man stattdessen tun in diesem Moment?
Aber heute weiss man, dass es oft Menschen sind, die keinen pathologischen Hintergrund haben. Vielmehr geht es beispielsweise um Bindungsschwierigkeiten. Hinzu kommt, dass man möglicherweise selbst nicht sieht, dass man Stalking betreibt.
Wie findet ein Stalker trotzdem zu euch?
Meistens entweder unfreiwillig über die Staatsanwaltschaft, über das Gewaltschutzgesetz – wo wir die Akten bekommen und uns für ein freiwilliges Gespräch melden oder ein paar wenige kommen von sich aus.
Wie arbeiten Sie mit diesen Menschen?
Wir arbeiten sicher an der Reflexion. In einem ersten Schritt geht es darum, zu akzeptieren, dass das eigene Verhalten falsch ist. Es gilt, aufzuzeigen, was das eigene Verhalten für das Gegenüber bedeutet und zu verstehen, dass man auch sich schadet.
Da es oft um die Ex-Partnerin geht, dreht sich alles nur noch um sie. Alle anderen Dinge, die stabilisierend sind, vergisst man in dieser Zeit. Darum arbeiten wir auch an den Regenerationsmöglichkeiten. Anstatt bei der Ex-Partnerin vor dem Haus zu stehen: Was könnte man stattdessen tun in diesem Moment? Sein eigenes Leben wieder in Angriff nehmen. Wieder eine Struktur aufbauen und sehen, dass das eigene Leben lebenswert ist.
Sehen sie sich selbst als Opfer?
Ich glaube, um sich selbst dieses krankhafte Nachstellen zu begründen, hilft es sicher, wenn man dem Gegenüber die Schuld zuweist. Darum ist bei der Stalkingberatung ein zentraler Punkt, Verantwortung zu übernehmen.
Wir zeigen: Du bist zu 100 Prozent selbst verantwortlich für deine Handlungen. Was früher war, war früher. Das können wir gerne zusammen besprechen. Aber das mit der Handlung ist einfach ein anderes Thema. Dass wir das wirklich versuchen, zu trennen. Aber das geht natürlich nicht in einer Sitzung.
Wie gross ist die Einsicht, dass das eigene Verhalten falsch ist?
Bei Stalking hatte ich schon beides. Ich hatte es mit Leuten zu tun, wo ich sehen musste, dass da noch nicht wirklich eine Einsichtsfähigkeit da ist. Aber ich sage mal: Es ist so etwa 50/50. Es kann aber auch sein, dass man denkt: Ich glaube, er hat es langsam verstanden. Und beim nächsten Mal ist er wieder in der Opferrolle. Es ist ein Hin und Her. Es ist auch nicht so, dass jemand zu uns kommt und dann einfach geheilt ist. Es geht darum, zu lernen, mit seinen Themen zu leben und Verantwortung zu übernehmen. Das versuche ich.
Das Gespräch führte Sina Alpiger.