Man kann nicht behaupten, dass die bisherige Karriere von Lara Gut-Behrami arm an Erfolgen gewesen wäre. Dennoch geniessen die jüngsten Heldinnentaten einen besonderen Stellenwert in ihrem reichen Palmarès. «Es ist wunderschön! Riesenslalom war immer meine Lieblingsdisziplin, es ist die Basis von allem», gab eine sichtlich berührte Gut-Behrami zu Protokoll. Da könnten die drei zuvor errungenen Super-G-Kugeln nicht mithalten.
Und ohnehin: «Es tönt blöd, aber es hat mich immer genervt, wenn ich als Speed-Fahrerin bezeichnet wurde.» Viel mehr Wert habe sie auf technische Stärken als Kernkompetenz gelegt, schon zu Beginn der Karriere immer von Husarenstücken im «Riesen» geträumt: «Ich habe immer gesagt, dass ich irgendwann um diese Kugel mitfahren will. Es ist ein Zeichen, dass man konstant bei den Besten der Welt ist.» So könne man dieses erreichte Ziel auch nicht mit dem WM-Titel in Gut-Behramis Lieblingsdisziplin in Cortina 2021 vergleichen.
Dass die Bedeutung, sich als beste Riesenslalom-Fahrerin des Winters bezeichnen zu können derart gross ist, realisierte Gut-Behrami erst kurzfristig: «Erst heute Morgen wusste ich, dass ich diesen Triumph unbedingt will. Ich war nervös, es waren die schlechtesten Läufe des ganzen Winters. Ich wusste: Ich muss ins Ziel kommen.» Dieser Kreis schloss sich nun.
Ich habe gemerkt: Mein Weg muss ein anderer sein.
Mit 32 Jahren gehört Gut-Behrami zu den routinierteren Läuferinnen, strahlt aber eine Frische aus wie noch selten in ihrer Laufbahn. Ihre Erklärung: «Früher wollte ich unbedingt Erfolg. Ich setzte mich selbst unter Druck. Ab und zu auch mit der Brechstange.»
Eine Zäsur – auch im mentalen Bereich – stellte die schwere Verletzung im Februar 2017 dar: Gut-Behrami riss sich beim Einfahren für den Slalom der WM-Kombination in St. Moritz das Kreuzband. Sie habe da realisiert: «Mein Weg muss ein anderer sein.» Sie habe die Freude zum Skifahren wiedergefunden. «Ich habe seither viel mehr vom Leben, ein anderes Leben.»
Flatscher jubelte einst mit Gut-Behramis Vorbild
Hans Flatscher, Alpin-Direktor bei Swiss-Ski, kann sich daran freilich noch genau erinnern. Er ist seit 1994 mit Sonja Nef liiert. «Sonja war immer ein Vorbild von Lara. Das ist eine schöne, eine besondere Geschichte», erzählt der Österreicher, für den sich so ebenfalls ein Kreis schliesst. Für Gut-Behramis Leistung bringt Flatscher viel Bewunderung auf: «Die Ausgangslage war gut, aber nicht einfach. Sie hat es brutal intelligent gelöst.» Die Tessinerin sei «eine der ganz Grossen».
Erstaunen lösen die Leistungen Gut-Behramis auch bei Michelle Gisin aus. Die Teamkollegin schwärmt im Interview: «Wie sie die Saison dominiert, ist unglaublich. Nur Respekt und noch viel, viel mehr. Diese Konstanz in drei Disziplinen, da kann man nur den Hut ziehen!»