9‘500 Schweizer Samen lagern derzeit im internationalen Samenbunker «Svalbard Global Seed Vault» auf der abgelegenen norwegischen Insel Spitzbergen. Gut gesichert in einem Bunker, gut gekühlt mitten im Permafrost. Erdbeben, Atomkatastrophen oder die Erderwärmung sollen den wertvollen Samen nichts anhaben können.
Wertvoll sind sie, weil diese Weizen-, Soja- oder bald auch Gemüsesamen die Ernährung der Schweizer Bevölkerung sicherstellen, sollte die nationale Schweizer Samenbank in Changins diese Aufgabe eines Tages nicht mehr übernehmen können. Die 9‘500 Samen in Spitzbergen sind Duplikate der über 10‘500 Samen der Schweizer Genbank. Bald soll das Backup vollständig sein.
Genpool der Kulturpflanzen
Beate Schierscher ist Projektleiterin «Biodiversität der Kulturpflanzen» in Changins, eine verantwortungsvolle Aufgabe: «Unser Ziel ist es, das nationale pflanzengenetische Erbe zu erhalten, so dass es für die Zukunft nutzbar ist», sagt sie gegenüber «Einstein». Würde zum Beispiel eine neue Pflanzenkrankheit über die Schweiz herfallen, oder sich die klimatischen Bedingungen dramatisch verändern, könnte man unter den verzeichneten Samen eine resistente Sorte finden, ihre Gene in eine andere einbauen und so vielleicht eine massgeschneiderte Sorte entwickeln, die den widrigen Umständen gewachsen wäre.
Alleine 5‘141 Weizenarten verzeichnet die Genbank, 2‘198 Dinkelsorten, aber auch 450 Gemüsearten. Es sind Samen von heute gängigen Pflanzen, von längst vergessenen Sorten oder solchen, die für eine bestimmte Region einmal von grosser Bedeutung waren – und wieder werden könnten.
Keimfähigkeit ist oberste Priorität
Dass die Samen in der Genbank eingelagert sind, heisst jedoch nicht, dass sie nicht mehr angerührt werden müssten. Regelmässig wird getestet, wie gut die Samen noch keimen. Ein Getreidesamen beispielsweise hält sich bei minus 18 Grad – der Temperatur im Kühlraum in Changins – problemlos 50 Jahre, bevor die Keimfähigkeit sinkt. Bei Bohnen sind es eher 15 Jahre. Fällt die die Keimfähigkeit unter 70 Prozent wird es kritisch. Innerhalb der nächsten zwei Jahre muss eine Vermehrung stattfinden, also neue Samen herangezüchtet werden.
Sobald neue, keimfähige Samen herangezogen wurden, werden die alten aus Spitzbergen zurückbeordert und ausgetauscht. Von vier Päckchen für jede Sorte bleiben drei in Changins, eines geht in den norwegischen Bunker. Nicht nur die Schweiz hat hier ihre Duplikate, fast alle der 1‘400 Genbanken weltweit nutzen das Angebot für den Notfall.
Samen für den Notfall
In Changins rechnet man zwar nicht damit, dass es zu einer Katastrophe kommt und die Dubletten gebraucht werden. Die Sicherheitsmassnahmen in der Schweizer Samenbank sind immens. Trotzdem können grosse Überschwemmung, Feuer oder Erdbeben unvorhergesehene Schäden anrichten.
Beate Schierer sieht jedoch auch andere Gefahren, die weniger spektakulär klingen: «Was wäre, wenn politische Entscheide oder Sparmassnahmen zur Auflösung der Genbank führten? Mit den Dubletten aus Norwegen wäre es möglich noch 50 Jahre später, wenn man den Fehler eingesehen hat, die Samenbank wieder aufzubauen».