Was nach einem teuflischen Plan klingt, hat plausible, wissenschaftliche Gründe. Nur wer seinen Feind in und auswendig kennt, kann ihn auch bekämpfen. Die Forscher möchten im Labor die Entwicklung vorweg nehmen, die sich möglicherweise in der Natur abspielen könnte.
Denn Grippe-Viren verändern ihr Erbgut ständig, und gerade durch diese genetischen Veränderungen könnte auch H7N9 eines Tages für den Menschen sehr gefährlich werden. «Experimente wie diese sind für die Grippe-Forschung unabdingbar», sagt Volker Thiel, Virologe am Kantonsspital St. Gallen.
Noch keine Pandemie
Zurzeit ist H7N9 – trotz der 43 Todesfälle – keine grosse Bedrohung. Denn die allermeisten Patienten scheinen sich bei Tieren angesteckt zu haben und nicht bei anderen Menschen. Die leichte Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch ist jedoch die wichtigste Voraussetzung für eine Pandemie. Was die Krankheitssymptome angeht, scheint es bei H7N9 zurzeit noch viele milde Verläufe zu geben. Das legen die Daten der chinesischen Seuchenüberwachung nahe, schreiben zwei Experten diese Woche im Fachblatt «British Medical Journal».
Trotzdem beobachten die Grippe-Experten H7N9 mit Argusaugen. Sie vermuten, dass wenige Mutationen ausreichen könnten, um das Virus sehr viel gefährlicher zu machen als es derzeit ist. Und genau diese Mutationen wollen der holländische Virologe Ron Fouchier und seine Mitstreiter nun im Labor künstlich erzeugen. «Die klassische epidemiologische Forschung gibt den Behörden zu wenig Zeit, um ein pandemisches Virus in Schach zu halten», schreiben die Forscher in einem offen Brief, der diese Woche in den Fachblättern «Science» und «Nature» erscheint.
Furcht vor Datenmissbrauch
Bereits vor knapp zwei Jahren sorgten ähnliche Experimente mit einem anderen Vogelgrippe-Stamm für Schlagzeilen. Ron Fouchier hatte in einem Frettchen-Experiment Versionen von H5N1 hergestellt, die für die Tiere ansteckender waren als die natürliche Form des Virus. Frettchen gelten in der Grippe-Forschung als geeignetes Modell für den Menschen. Die Veröffentlichung dieses – und eines weiteren, ähnlichen Experiments – wurde jedoch gestoppt. Vor allem die US-Behörde für Biosicherheit NSABB fürchtete, die Daten könnten missbraucht werden, um Biowaffen herzustellen.
Die kontroverse Debatte führte schliesslich zu einem einjährigen Forschungsmoratorium, das sich die Forscher selbst auferlegten. Inzwischen wurden die Daten zum grössten Teil zur Publikation freigegeben, und die Forschung ist wieder angelaufen.
Effektivere Impfstoffe
Mit ihrem offenen Brief treten die Forscher nun sozusagen die Flucht nach vorn an. Sie erläutern ihre Pläne im Detail, bevor sie mit der Forschung beginnen. Die künstlich mutierten H7N9-Viren seien unter anderem auch wichtig, um effektivere Impfstoffe zu entwickeln, argumentieren sie.
Für die Forschung mit künstlich erzeugten, mutierten H7N9-Viren sind hohe Sicherheitsbestimmungen nötig. Es muss sichergestellt werden, dass die Viren nicht aus Versehen aus den Labors entweichen. Länder wie die USA haben daher die entsprechenden Vorschriften verschärft.
Höchste Sicherheitsstufe in der Schweiz
In der Schweiz ist eine Verschärfung laut Bundesamt für Gesundheit nicht notwendig – die bestehenden Regeln reichen aus. Thomas Binz, Leiter der Sektion Biosicherheit beim BAG sagt: «Falls ein Labor die Viren verändern möchte, dann könnte die Biosicherheitsstufe 4 erforderlich werden.» Ein Forschungslabor dieser höchsten Sicherheitsstufe besteht hierzulande einzig im ABC-Labor Spiez.
Noch wird in der Schweiz nur mit nicht veränderten H7N9-Viren geforscht wie sie aktuell in China zirkulieren. «Ich kann mir aber vorstellen, dass auch in der Schweiz ein Forscher eines Tages mit den genetisch veränderten Viren arbeiten möchte», sagt Thomas Binz.