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Wie Aquakultur nachhaltiger wird
Aus Wissenschaftsmagazin vom 06.04.2024. Bild: IMAGO / SuperStock
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Lachszucht in der Kritik Islands Fischzucht – Gefahr für Wildlachs und Tourismus

Island gilt als Inbegriff wilder Natur. Doch jetzt könnte ausgerechnet der König der Fische, der Wildlachs, von der Insel verschwinden. Der Grund: Entkommener Zuchtlachs vor Islands Küste. Naturschützer, Angler und Landwirte protestieren gegen die milliardenschweren Geschäfte der Fischindustrie.

Die Westfjorde im Nordwesten von Island: eine Halbinsel mit zerklüfteten Küsten, knapp 400 Kilometer von der Hauptstadt Reykjavik entfernt. Jón Kaldal steht am Arnarfjörður Fjord und schaut besorgt auf die Lachszuchtanlage.

Zwölf ringförmige Netze treiben dort im Wasser. «Allein an diesem kleinen Standort gibt es etwa 1,2 Millionen Zuchtlachse. Das ist 20 Mal mehr als die gesamte isländische Wildpopulation.» Der Isländer arbeitet für den Icelandic Wildlife Fund, eine Nicht-Regierungs-Organisation, die sich für den Schutz von Meer und Fischen engagiert.

Proteste gegen die Lachsindustrie

Island gilt als Inbegriff wilder Natur und reiche Fischwelt. Doch jetzt könnte ausgerechnet der König der Fische, der Wildlachs, von der Insel verschwinden, fürchten viele Isländerinnen und Isländer.

Auf dem Bild ist das Meer zu sehen.
Legende: Trotz Käfig – Zuchtlachse können entkommen und sich im freien Meer weiter vermehren. Michael Marek und Jörn Breiholz

Der Grund: die industrielle Produktion norwegischer Zuchtlachse vor den Küsten. Einige entkommen aus ihren schwimmenden Käfigen, paaren sich mit Wildlachsen und bedrohen deren Population.

Wild- und Zuchtlachs sind völlig unterschiedlich

«Das hier sind Lachsläuse. Seht ihr, wie sie sich bis in den Schädel gefressen haben?» Fragt Elvar Friðriksson. Er ist Geschäftsführer des North Atlantic Salmon Fund, einer weiteren Nicht-Regierungs-Organisation, die sich für den Erhalt des wilden isländischen Lachses einsetzt. Wir treffen den Naturschützer vor einer Anglerhütte. Zu seinen Füssen liegt ein Dutzend aus der Lachszucht entflohener toter Zuchtlachse.

«Schaut euch die Flosse an, die ist ganz zerrissen. Das ist ein untrügliches Zeichen für einen Zuchtlachs.» Bei einem Wildlachs ist die Flosse erheblich grösser und spitzer. Sie ist für das Schwimmen gegen die Flussströmung gemacht. «Aber bei den Zuchtlachsen ist sie sehr viel kleiner».

Auf dem Bild sind zwei verletzte Fische zu sehen.
Legende: Zuchtlachse sind anfällig für Krankheiten, ihre Wunden können von Lachsläusen stammen oder von Risswunden durch Plastiknetze. Entkommene Zuchtlachse können auch von Robben angegriffen werden. Michael Marek und Jörn Breiholz

Friðriksson erklärt uns, was es mit den Tierkadavern auf sich hat: Es handelt sich um geflohene Zuchtlachse aus den Netzen von «Arctic Fish». Das Unternehmen gehört zu Mowi, dem grössten Zuchtlachskonzern der Welt. Das mehrheitlich norwegische Unternehmen hat extra Taucher einfliegen lassen, die die entflohenen Zuchtlachse aufspüren und töten sollen. So will man verhindern, dass sich Zucht- und Wildlachs paaren. Denn die genetischen Eigenschaften der Zuchtfische sind für die Massenproduktion geeignet, reichen aber nicht für das Überleben in der Natur.

Krankheiten gefährden den Zuchtlachs

Ein weiteres Problem: Zuchtlachse sind anfällig für Krankheiten. Wo sie sind, haben Parasiten leichtes Spiel. Fast alle toten Zuchtlachse, auf die Elvar Friðriksson zeigt, sind mit Wunden übersät: «Die Wunden können verschiedene Ursachen haben. Sie können von Lachsläusen stammen oder von Risswunden, die sich die Lachse an den Plastiknetzen zugezogen haben, weil sie dort sehr dicht gedrängt zusammen leben.» Dann würden sich die Wunden infizieren. Oder die entkommenen Zuchtlachse wurden von Robben angegriffen. Was uns auffällt: Keiner der Hybridlachse ist unversehrt.

Schliesslich zeigt Friðriksson auf ein besonderes Exemplar: Um sein Auge herum haben die Lachsläuse sich durch die Haut und den Schleim gefressen, sodass sie in den Schädel und in die Knochen eindringen konnten.

Es handelt sich um ein domestiziertes Tier mit domestizierten Genen, das sich trotzdem fortpflanzen und mit dem Wildtier vermischen kann. Das ist die schreckliche Seite der Lachsindustrie.

Es ist eine gigantische unterseeische Industrie-Mast auf einer Länge von gerade mal zwei Kilometern. Auf einem Ponton inmitten der Anlage: ein containerartiges Gebäude. Das ist ein Futterautomat, der industriell gefertigtes Fischfutter in die riesigen Netze schiesst. Die Jungtiere werden ins Netz gesetzt, wenn sie zwischen 120 und 200 Gramm wiegen.

Danach bleiben sie 18 Monate in der Zuchtanlage. Wenn die Lachse zwischen sechs und acht Kilogramm wiegen, werden sie geschlachtet. Davor werden sie unentwegt gefüttert. Die Zuchtlachse wachsen derart schnell, «dass einige von ihnen missgebildet sind. Denn das Skelett kann mit diesem schnellen Wachstum nicht mithalten», erklärt Friðriksson.

Für Jón Kaldal sind Zucht- und Wildlachs zwei komplett verschiedene Fische, die auf keinen Fall Nachfahren zeugen sollten: «Du hast dann Nachkommen, die nicht an ein Leben in der Wildnis angepasst sind. Ähnlich wie die Nachkommen eines Pudels und eines Wolfs. Die wären auch nicht in der Lage, in der freien Wildbahn zu leben. Und das würde auch mit den Lachsen passieren. Es handelt sich ja um ein domestiziertes Tier mit domestizierten Genen, das sich trotzdem fortpflanzen und mit dem Wildtier vermischen kann. Das ist die schreckliche Seite der Lachsindustrie.»

Auf dem Bild ist Jón Kaldal zu sehen.
Legende: Der Isländer Jón Kaldal arbeitet für den Icelandic Wildlife Fund, eine Nicht-Regierungs-Organisation, die sich für den Schutz von Meer und Fischen engagiert. Michael Marek und Jörn Breiholz

Die geflüchteten Zuchtlachse haben auf Island für grosse Aufregung gesorgt. Nicht nur in den Medien des Landes sind sie derzeit ein Dauerbrenner. Islands Popikone Björk hat zusammen mit der spanischen Singer-Songwriterin Rosalía sogar einen eigenen Song gegen den Lachs aus dem Reagenzglas veröffentlicht. Naturschützer, Angler und Landwirte protestieren gegen die milliardenschweren Geschäfte der Fischindustrie.

Wissenschaftsmagazin, 06.04.2024, 12:40 Uhr

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