Anpassungen an den Klimawandel sind zum Teil schon Wirklichkeit. So haben manche tiefliegenden Skigebiete in der Schweiz mittlerweile auf reinen Sommerbetrieb umgestellt. Der Temperaturanstieg der letzten hundert Jahre – in der Schweiz um 1,5 Grad – garantiert keine schneesicheren Winter mehr.
Schwerwiegender sind die Veränderungen in der Gemeinde Guttannen im Berner Oberland: Weil am Ritzlihorn der Permafrost schmilzt, donnern seit einigen Jahren immer mal wieder Stein- und Schlammlawinen in die Tiefe.
Evakuierung in Guttannen?
Wegen dieser Murgänge könnte dereinst in einem besonders schlimmen Fall – wenn zusätzlich noch ein Hochwasser aufträte – die Aare über die Ufer treten, und Wasser und Geschiebe einen ganzen Weiler zerstören. Die Gemeinde Guttannen steht daher vor einer schwierigen Entscheidung: Sollen 60 Personen im Weiler «Boden» ihre Häuser auf immer verlassen müssen? Oder soll der Weiler intakt bleiben, doch zu einem vielleicht lebensbedrohlichen Preis?
Eine umfassende Untersuchung soll das Risiko am Ritzlihorn nun noch genauer abklären. Doch ein ganz sicherer Entscheid wird auch damit nicht möglich sein. Denn die Natur lässt sich nicht so einfach in die Karten blicken. «Permafrost schmilzt unterschiedlich», sagt Klimatologin und Geografin Martine Rebetez von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), «je nach Lage und Bodenbeschaffenheit kann der Untergrund stärker oder schwächer auftauen, die Folgen für die Hangstabilität lassen sich im Detail nicht abschätzen.»
Sicher sind sich Klima- und Umweltfachleute daher nur in den groben Tendenzen: Entscheide wie in Guttannen dürften in den kommenden Jahren und Jahrzehnten häufiger werden, so der Tenor kürzlich an einer Tagung der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt und MeteoSchweiz in Bern.
Rund die Hälfte der Schäden wären vermeidbar
Gerade im alpinen Gebiet dürfte es wegen der fortschreitenden Gletscher- und Permafrostschmelze künftig grössere Schäden geben. Auch wenn noch nicht absehbar ist, wie gross die Schäden in der Schweiz sein werden, so würden doch Berechnungen weltweit eines zeigen, sagt David Bresch, Leiter «Nachhaltigkeit» der Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re: «Wenn die Welt weder den CO2-Ausstoss reduziert noch frühzeitig Schutzvorkehrungen trifft gegen Hangrutschungen, Hochwasser, Ernteausfälle, klimabedingte Migration et cetera, dann könnten Klimaschäden am Ende des Jahrhunderts bis zu 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) verschlingen».
Heute werden solche Schäden laut Bresch auf weniger als ein Prozent des BIP geschätzt – wobei sich die Zahl nur auf Schäden durch klimabedingte Naturkatastrophen bezieht, also tendentiell zu tief ist. Noch etwas zeigen Klimaanpassungs-Studien, so David Bresch: «Mit frühzeitigen Anpassungen kann man rund die Hälfte der Schäden kostengünstig vermeiden. Es kommt also billiger, in Schutzmassnahmen zu investieren als einfach auf die Schäden zu warten.»
Keine Reue: Beispiel Schutzwald
Doch wie kann man sich anpassen an Klimaschäden, die im einzelnen noch gar nicht absehbar sind? Indem man auf sogenannte No-Regret-Massnahmen»setze, sagt Martine Rebetez vom WSL. Solche Massnahmen werden vorsorglich ergriffen und bieten auch dann noch Vorteile, wenn der ursächliche Grund dafür ausbleibt – in diesem Falle also die Klimaschäden.
No-Regret-Massnahmen seien beim heutigen Wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet zum Schutz vor Klimaschäden. Eine solche Massnahme könnte zum Beispiel ein neuer Grünpark in einer dicht besiedelten Stadt sein. Er bringt Abkühlung in Hitzesommern, unabhängig davon kann sich die Stadtbevölkerung darin erholen und er wertet die Umwelt auf.
Auf die No-Regret-Karte scheint auch der Bundesrat bei seiner neuen nationalen Klima-Anpassungsstrategie zu setzen. In den ersten fünf Jahren, 2014 bis 2019, wolle der Bund vor allem in eine Aufgabe investieren, sagt Roland Hohmann vom Bundesamt für Umwelt gegenüber Schweizer Radio SRF. Er koordiniert die Klima-Anpassungen des Bundes: «Wir wollen jährlich zehn Millionen Franken aufwenden, um den Schutzwald im Berggebiet zu stärken. Er soll dergestalt verjüngt und umgestaltet werden, dass er künftig auch bei trockeneren Bedingungen Personen und Bauten vor Steinschlag oder Rutschungen schützen kann». Nebst dieser Schutzfunktion machen gut gepflegte Wälder auf jeden Fall auch ökologisch Sinn.
Was tun? Entscheiden muss die Gesellschaft
Weil sich die künftigen Klimaschäden heute noch nicht sicher voraussagen lassen, werden sie oft nicht ernst genommen. An der Tagung in Bern stand daher noch eine weitere Frage im Raum: Wie kann man die Menschen davon überzeugen, dass es trotz dieser Ungewissheit Sinn macht, sich schon jetzt an künftige Klimarisiken anzupassen?
Diese Frage allerdings könne die Wissenschaft nicht allein beantworten, so die einhellige Meinung. Sie könne zwar untersuchen, was mit welcher Wahrscheinlichkeit wo passieren könnte; sie könne auch mögliche Priorisierungskriterien für die nötigen Anpassungen aufzeigen – doch entscheiden, was dann zu tun ist und warum, das sei letztlich Aufgabe der Gesellschaft und Politik.
Es brauche daher dringend eine breite öffentliche Diskussion rund um Fragen wie: Wie viel sind uns Klima-Anpassungen wert? Und welche Anpassungen sind uns wie wichtig? So könnten künftig vielleicht nicht immer die perfekten Massnahmen aufgegleist werden, aber zumindest solche, die gesellschaftlich gut abgestützt sind.