«nano»: Frau Ingold, wir haben einen der mildesten Winter seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen hinter uns. Für viele Schweizer ist klar: Das liegt am Klimawandel. Trotzdem fliegen wir nach Thailand in die Ferien oder essen im März Spargeln aus Mexiko ...
Karin Ingold: Die Leute nehmen den Klimawandel langsam wahr. Das ist schon mal was. Aber dass das eigene Verhalten auch einer der Auslöser ist, das realisieren die wenigsten. Das braucht Zeit.
«Ich allein kann eh nichts ausrichten» hört man auch als Rechtfertigung für das Nichts-Tun. Wie viel Potenzial steckt im Verhalten jedes einzelnen?
Ein grosses Potenzial. In der Schweiz stammt ein Drittel aller klimarelevanten CO2-Emissionen aus den Privathaushalten und ein Drittel aus dem Transport – private Autofahrten steuern auch einen Teil dazu bei. Der Flugverkehr ist beim Transport noch nicht einberechnet. Die Zahl wurde bislang nicht erhoben. Das ist eine heilige Kuh, die niemand anfassen will.
Sie beschäftigen sich mit politischen und gesellschaftlichen Anreizen für ein klima-freundlicheres Leben. Wie überzeugt man die Leute?
Der stärkste Anreiz ist und bleibt das Geld. Wenn Flugtickets teurer wären, würden längst nicht so viele Leute fliegen. Deshalb müsste man einen Klimaabschlag zur Pflicht machen und somit die Kompensation der CO2-Emissionen nicht der Freiwilligkeit überlassen.
Und wie wollen Sie die Arbeitnehmer dazu bringen, Bus und Bahn anstelle des eigenen Autos zu nehmen?
Leider gibt es derzeit einen gegenläufigen Trend. Die Arbeitnehmer steigen wieder aufs Auto um, weil Busse und Bahnen zu den Stosszeiten rappelvoll sind. Der öffentliche Verkehr kommt in der Schweiz an seine Grenzen; ein Ausbau ist kaum noch möglich. Deswegen braucht es auch neue Arbeitsmodelle. Flexiblere Arbeitszeiten zum Beispiel, um so die Rushhour zu umgehen, oder die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten.
Stichwort zu Hause: Wie kann man die Leute motivieren, den Energieverbrauch in den eigenen vier Wänden zu drosseln?
Auch übers Geld. Für Hauseigentümer gibt es von Bund und Kantonen finanzielle Unterstützung, wenn sie von fossilen Energieträgern wie Erdgas oder Erdöl auf alternative Energiequellen umstellen. Aber einiges an Energie liesse sich natürlich auch sparen, wenn wir nicht so bequem wären: Licht löschen, Standby-Modus aus. Das Wasser für den Tee nicht im Wasserkocher, sondern auf dem Herd erhitzen.
Hand aufs Herz. Gelingt ihnen das?
Beim Lichtlöschen bin ich leider nicht so konsequent, wie ich es sein könnte. Aber ich achte schon auf diverse Dinge. Zum Beispiel beim Reisen. Als Wissenschaftlerin bin ich oft an Konferenzen. Sofern sie in Europa stattfinden, fahre ich mit dem Zug. Kürzlich war ich mit dem Nachtzug in Madrid. Damit ist man ein Exot und wird von einigen Kollegen sogar belächelt. Das ist schon seltsam.
Sie verlangen den Leuten aber auch einiges ab. Eingespielte Verhaltensweisen zu ändern, ist schwierig. Gilt hier nicht auch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?
Natürlich. Die Kriegs- und auch die Nachkriegsgeneration sind zum Energiesparen erzogen worden. Für sie war Energie ein Luxusgut. Das sitzt sehr tief und wird von vielen, die 65 und älter sind, noch gelebt. Die nachfolgenden Generationen kennen das nicht. Für sie stand Energie immer zur Verfügung. Heute zwingt uns der Klimawandel zum Energiesparen. Das müssen wir den Kindern und Jugendlichen beibringen und sie für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren. Das ist natürlich ungleich schwerer als früher.
Übernehmen die Schulen diese Aufgabe?
Es wird derzeit darüber diskutiert, ob Nachhaltigkeit ein obligatorisches Schulfach werden soll. Ich fände das gut. Viele Lehrer sind aber schon heute sensibilisiert und behandeln das Thema. Ob das ausreicht, ist schwer zu beurteilen.
Speziell an Jugendliche richtet sich das «nano»-Camp, das diesen Sommer am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern stattfindet (siehe Box). Zwölf Jugendliche erfahren und erforschen den Klimawandel. Sie gehören zu den Personen, die die Jungforscher betreuen. Was haben sie vor?
Zuerst werden wir in der Gruppe das eigene Verhalten analysieren. Wer war schon mal für ein Wochenende in Barcelona? Wie fällt die Klimabilanz aus? Wer hat ein Smartphone, wer ein Tablet? Ist das ständig eingeschaltet? Auf Basis dieser Analyse erarbeiten wir einen Fragebogen, mit dem wir in Bern auf die Strasse gehen und Passanten zum Klimawandel und ihrem Verhalten befragen.
Wie nachhaltig können solche Aktionen sein?
Das kann eine Menge bewirken. Die Jugendlichen setzen sich eine ganze Woche intensiv mit dem Klimawandel und seinen Folgen auseinander. Ich hoffe, dass sie nicht nur ihr eigenes Handeln überdenken und ändern, sondern die Botschaft auch in Schule, Familie und Freundeskreis tragen.