Als in Basel 2006 die Erde leicht bebte, hatte das schwerwiegende Folgen für die Geothermiebohrung. Auslöser für das Beben waren grosse Wassermengen, die unter hohem Druck in die Tiefe gepresst worden waren. Durch das Beben entstanden kleine Schäden an Gebäuden; Versicherungen zahlten Kompensationen in Millionenhöhe aus. Das Projekt in Basel wurde abgebrochen. Das möchte man bei den derzeitigen Bohrungen in St. Gallen unbedingt verhindern.
St. Gallen ist nicht Basel
Die Chancen stehen gut, denn in St. Gallen ist das Erdbeben-Risiko ungleich tiefer. Nicht nur, weil hier in einem Bereich mit geringer seismischer Aktivität gebohrt wird. In St. Gallen wird ein Verfahren angewendet, das sich von dem in Basel unterscheidet. Dort sollte Wasser künstlich in den Untergrund gepresst werden und durch die vorhandene geothermale Energie aufgewärmt werden. Um eine Wärmeaustauschfläche zu schaffen, wollte man das Gestein auf einer Fläche von vier Quadratkilometern aufbrechen.
In St. Gallen hingegen erwarten die Experten, ein natürliches Heisswasser-Reservoir im Untergrund vorzufinden. Das rund 140 Grad Celsius heisse Wasser soll aus etwa vier Kilometern Tiefe an die Oberfläche gepumpt werden, wo ihm in einem Heizkraftwerk über Wärmetauscher die Wärmeenergie entzogen werden soll. In einer zweiten Bohrung wird das abgekühlte Wasser danach wieder in den Untergrund gepumpt. Der entscheidende Unterschied: Wenn der Wasserfluss in der Tiefe gross genug ist, muss das Gestein nicht künstlich aufgebrochen werden.
Erdbeben kann es trotzdem geben
Ausgeschlossen sind kleine Erdbeben trotzdem nicht. Das weiss Toni Kraft, Seismologe des Schweizerischen Erdbebendienstes: «Wenn man in den tiefen Untergrund eingreift, werden Spannungsverhältnisse verändert, besonders, wenn man Wasser einpresst oder entnimmt. Dann kann es zu kleineren Bruchprozessen kommen, die man an der Oberfläche spürt». Ein Sensornetz des Schweizerischen Erdbebendienstes überwacht deshalb permanent die Umgebung des Bohrplatzes in St. Gallen.
In sechs Stellen hat der Schweizerische Erdbebendienst Messstationen eingerichtet. Ein automatisches Alarmsystem informiert die Projektverantwortlichen, sobald es eine aussergewöhnliche seismische Aktivität gibt. Bei genau definierten Schwellenwerten werden Massnahmen eingeleitet, um ein stärkeres Beben zu verhindern – von der Drosselung des Bohrers bis zum kompletten Einstellen der Bohrung. Ein Szenario wie in Basel solle damit unbedingt verhindert werden, sagt Toni Kraft: «Basel hat gezeigt, dass kleine Erdbeben, die keine grosse Aufregung verursachen würden, wenn sie natürlich vorkommen, ein ganzes Geothermie-Projekt stoppen können, wenn sie durch Bohrungen verursacht werden». Investitionen von mehreren Millionen wären dahin.
Infos zum Thema
So richtig spannend wird es für Toni Kraft ab August, dann wird man wissen, ob in St. Gallen genug Wasser vorhanden ist, oder ob man auch hier mit zusätzlich eingepresstem Wasser weitere Risse erzeugen muss; wenn auch in viel kleineren Dimensionen als in Basel.
Ein Restrisiko bleibt immer
Selbst wenn Wasser gefunden wird, ist der Umgang mit seismischen Risiken zentral, weil die hydrothermale Geothermie wie in St. Gallen, die auf natürliche Wasservorkommen zurückgreifen kann, wegen der geringen Zahl an geeigneten Standorten zwangsläufig nur eine Nebenrolle spielen wird.
Wenn Geothermie langfristig einen bedeutenden Anteil des Schweizer Stromkonsums decken soll, dann kommt nur das petrothermale Verfahren wie in Basel in Frage. Und dieses Verfahren funktioniert über Mikrobeben, die ausgelöst werden, um Risse für künstliche Wasserwege zu schaffen. Dabei kann es zu spürbaren Erdbeben kommen. «Wahrscheinlich muss man bei der Nutzung der Geothermie lernen, solche Phänomene zu akzeptieren und damit umzugehen», sagt Toni Kraft.
Er und seine Kollegen analysieren deshalb genau die seismische Aktivität in St. Gallen. Wie bei einer Wetterprognose wollen sie in der Zukunft die Wahrscheinlichkeit eines durch die Bohrung verursachten gespürten Erdbebens in den nächsten fünf Stunden vorauszusagen. Dann könnten sofort Massnahmen eingeleitet werden, um das Beben zu verhindern.