Was sollen Bürger oder Forscher über die Schweizer Geschichte auch noch in hunderten von Jahren erfahren? Was wird künftige Generationen über uns überhaupt noch interessieren? Das fragen sich im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern Teams aus Historikern und Informatikern Tag für Tag. Sie digitalisieren tausende Originalunterlagen und übernehmen die Debatten und Entscheide aus Parlament und Bundesrat, aber auch neue, digitale Akten aus der Verwaltung. Klar, dass nicht jedes Papier, nicht jedes Detail über ein Detail, aufbewahrt werden kann. Doch das Wichtigste soll für künftige Generationen erhalten bleiben, und zwar nicht als Original-Papier im Keller-Archiv, sondern in Form digitaler Daten.
So hoffen die Teams, dass sie dem natürlichen Zerfall des Papiers einen digitalen Streich spielen können. Papierene Quellen zerfallen – je nach Qualität – auch im klimatisierten Keller nach 150 bis 300 Jahren. Irgendwann ist der Kampf um ihren Erhalt also verloren. Nicht so bei digitalen Daten. Diese «virtuelle Aufbewahrung» ist der Versuch, wenn nicht das Papier, so doch die Inhalte für die Nachwelt zu bewahren.
Digitales Archiv als permanenter Pflegefall
Allerdings sind auch digitale Daten nicht unverletzlich. Vielleicht sind sie sogar fragiler als Papier: Längere Zeit ohne Strom, gehen sie verloren, Software und Formate wechseln, die neue Variante versperrt oft den Zugang zur alten. Aus dem Alltag gesprochen: Wenn moderne Menschen kaum mehr die Schrift ihrer Grosseltern entziffern können, wie sollen dann Generationen in tausend Jahren noch ein Word-Dokument knacken? Die Antwort der Experten ist einfach: Sie werden es nicht können und genau so ratlos davor stehen, wie Archäologen seinerzeit vor den in Stein gehauenen Keilschriften.
Das will der Bund unseren fernen Nachkommen ersparen. Informatikteams und Sicherheitsexperten des Schweizerischen Bundesarchivs haben eine Art Leitfaden entwickelt. So werden beispielsweise keine Daten im bekannten word.doc-Format gespeichert. Zu viele Programmier-Fragen habe Microsoft seinerzeit nicht offengelegt, sagen die Experten. Anders etwa bei PDF-Dateien. Sie hält man für gut zugänglich und lesbar, auch noch in vielen Jahren.
Doch die digitale Unsterblichkeit für das «Gedächtnis der Nation» ist aufwendig: Jedes gespeicherte Dokument bedarf regelmässiger digitaler Pflege, Formate müssen kontinuierlich ausgetauscht, die Inhalte konvertiert werden. Der Aufwand im Vergleich zum Erhalt von Papieren ist dadurch grösser geworden. Wie lange das klappt, werden die Generationen nach uns testen können.
Sicherheitskopien schützen vor Totalverlust
Auch was die Stromversorgung betrifft, sind die Server gegenüber den Archivkellern keine bequemen Selbstläufer, sondern eher eine Art unausweichliches Klumpenrisiko: Ein längerer Stromausfall oder gar die Zerstörung der Server, und Millionen von Daten sind unwiederbringlich verloren. Sicherheitskopien der digitalen Bestände sollen die Schweiz vor dem virtuellen Gedächtnisverlust retten. Drei Kopien lagern im Jura, zwei weitere im Kanton Bern.
Bleibt zu hoffen, dass keine Erdbeben oder kriegerische Katastrophen die Konvertierungs- und Sicherheitskonzepte zunichte machen werden. Wenn doch, so werden irgendwann Archäologen wieder auf Originalquellen angewiesen sein. Die Qumran-Schriften vom Toten Meer haben immerhin 2000 Jahre in Felshöhlen überlebt und einige von ihnen waren so gut erhalten, dass sie weitgehend entziffert werden konnten.