In rund drei Jahren soll zwischen Erstfeld und Biasca der Gotthard-Basistunnel in Betrieb gehen. In diesem Tunnel können die Züge künftig doppelt so viele Personen und Güter durch den Berg transportieren wie heute. Das Bauwerk bringt also Schwung in den Bahnbetrieb am Fuss des Gotthards. Auf der heutigen höher gelegenen Gotthardlinie hingegen werden künftig weniger Züge verkehren. Die SBB wollen diese historische Gotthardlinie zwar in reduziertem Umfang für den Personenverkehr weiter betreiben, doch wie attraktiv die Gotthard-Bergstrecke künftig für Reisende noch sein wird, ist zurzeit offen.
Den Schwung des Basistunnels nutzen
Die historische Gotthardbahnlinie könnte also künftig an Bedeutung verlieren. Das Gegenteil sollte aber der Fall sein, findet der Historiker und Experte für Industriekultur Kilian Elsasser. Diese gut 130-jährige Eisenbahnlinie sei mit ihrem einst längsten Eisenbahntunnel der Welt und den Kehrtunnels um die Kirche von Wassen nicht nur eine technische Meisterleistung. Sie habe die Schweiz auch zu einem der wichtigsten Transitländer Europas gemacht, so Elsasser: «Wir sollten daher den Schwung des neuen Basistunnels nutzen, um die alte Gotthardlinie aufzuwerten, ebenso wie die historische Verkehrslandschaft am Gotthard insgesamt.»
Eine Aufwertung der Verkehrslandschaft am Gotthard wünschen sich viele, wie eine grosse Fachtagung zeigte, die Kilian Elsasser im Auftrag von Icomos Schweiz im urnerischen Altdorf organisiert hat. Grundsätzlich viel Zuspruch fand an jener Tagung auch die Idee, diese Aufwertung über eine Unseco-Kandidatur anzustreben. Doch eine solche Kandidatur sollte sich auf die historische Eisenbahnlinie konzentrieren, überzeugte Oliver Martin, der Vertreter des Bundesamts für Kultur, das Plenum.
Bedenken unter den Experten
Zwar umfasse, so der Tenor unter den Fachleuten aus Verkehr, Tourismus, Denkmalschutz und Wissenschaft, auch die weitere Verkehrslandschaft Gotthard viele herausragende Bauten, von der mittelalterlichen Teufelsbrücke bis zur Tremolapass-Strasse auf der Südseite. Doch eine so breit definierte Kulturlandschaft mit ihren unsicheren Entwicklungen wie etwa in Andermatt könne die Unesco-Kriterien kaum erfüllen und wäre wegen der vielen involvierten Eigentümer auch nur schwer als Ganzes zu unterhalten.
Abgespeckte Unesco-Kandidatur
Weiterverfolgt werden soll nun aber eine abgespeckte Unesco-Kandidatur, die sich auf die alte Gotthard-Bergstrecke konzentriert und aus Expertensicht gute Chancen hat, als Welterbe tatsächlich aufgenommen zu werden. Wie Kilian Elsasser auf Anfrage sagte, wollen die Gotthard-Kantone Uri und Tessin mit den SBB demnächst konkreter besprechen, wie eine Unesco-Kandidatur aussehen könnte. Gut Ding will allerdings Weile haben: Wie rasch und weitgehend in diesen Gesprächen eine Einigung erzielt wird, zeichnet sich noch nicht ab.
Und weil der Bund die Liste für Unesco-Kandidaturen im Rahmen der schweizerischen Kulturbotschaft 2015-19 überarbeiten wird, kann eine Unesco-Kandidatur für die historische Eisenbahnlinie erst ein, zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthardbasistunnels eingereicht werden, sagte Oliver Martin vom Bundesamt für Kultur gegenüber Schweizer Radio SRF.
Es braucht einen langen Atem
«Es braucht einen langen Atem, auch nach einer Unesco-Kandidatur», weiss Hans Amacker, Direktor der Rhätischen Bahn (RhB). Die RhB hat seit fünf Jahren ein Unesco-Label, doch das Label konnte einen gewissen Passagierrückgang wegen des starken Frankens bisher nicht messbar korrigieren. Dazu brauche es weitere fünf Jahre. Immerhin habe das Label viele interessante Kooperationen bewirkt und die RhB bekannt gemacht. So etwa sei die Rhätische Bahn in Google Street View aufgenommen worden. «Wir würden uns erneut bewerben», sagte der Direktor der RhB.