Taim ist ein Aktivist der syrischen Revolution. Seit Beginn des Aufstands ist er mit seiner Kamera unterwegs, filmt und veröffentlicht seine Videos auf YouTube, um der Welt zu zeigen, was in Syrien geschieht. Eines Tages wird er schwer verletzt an einem Checkpoint aufgefunden und liegt für Monate im Koma.
Das ist die Ausgangslage für Mohammad Al Attars Theaterstück «While I Was Waiting», das Regisseur Omar Abusaada mit syrischen Schauspielern inszeniert hat.
Am Krankenbett des jungen Aktivisten, im Wartesaal zwischen Leben und Tod, prallen Welten und Weltanschauungen aufeinander.
Koma als Metapher
Seine Mutter, seine Freunde – zwischen Hoffnung und Verzweiflung warten sie, dass sich die unerträgliche Spannung auflöst. Wird er je wieder aufwachen? Sollen sie fliehen, ihn allein lassen? Wohin driftet Syrien? Gibt es Frieden – oder nur den Tod?
Das Koma des Patienten wird zur Metapher für den Zustand eines ganzen Landes, das Tag für Tag mehr zerstört wird, in dem stündlich mehr Menschen sterben.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Komapatienten ins Zentrum des Stücks zu stellen?
Mohammad Al Attar: Ein Freund von uns wurde bewusstlos auf der Rückbank seines Wagens gefunden wurde und lag dann wochenlang im Koma, bevor er starb.
Omar Abusaada: Ich konnte ihn im Krankenhaus besuchen, habe seine Familie getroffen, und sechs Monate nach seinem Tod habe ich angefangen, daran zu arbeiten. Das ist ein sehr persönliches Thema.
Mohammad Al Attar: Es hat uns sehr getroffen, obwohl es nichts besonderes ist. In Syrien sterben tagtäglich Menschen auf die absurdeste Weise. Und manchmal weiss man nicht einmal, wer wen umgebracht hat.
Die Leute gewöhnen sich fast schon an diese Nonstop-Tragödien. In unserem Stück hat das Koma die Bedeutung des Wartens, ohne dass man sein Schicksal selbst bestimmen kann.
Das ist genau die Situation, in der sich Syrien befindet. Denn es ist ein weit verbreiteter Fehler, von einem Bürgerkrieg zu sprechen.
Auf dem syrischen Schlachtfeld findet ein Stellvertreter-Krieg statt, in dem regionale Mächte versuchen, die Oberhand zu gewinnen. Weder die Syrier und nicht einmal das Assad-Regime können das noch kontrollieren.
Und die Menschen in Syrien zahlen einen hohen Preis, können aber ihr Schicksal nicht selbst bestimmen. Dafür steht die Metapher des Komas.
Im Stück erlebt man sehr intim, was die Menschen in Damaskus angesichts dieser Situation bewegt. Die Zuschauer hier in Westeuropa betreten unbekanntes Terrain, weil davon, von den ganz privaten Problemen, ja kaum jemand berichtet.
Omar Abusaada: Wir versuchen ja selbst zu verstehen, was in Syrien geschieht. Das ist sehr wichtig für uns. Sogar ich als Syrer, ich lebe dort, aber das bedeutet nicht, dass ich wirklich verstehe, was passiert, so kompliziert ist es jetzt.
Im Theater versuchen wir ein neues Verständnis dafür zu entwickeln, wer wir sind, was in Syrien seit 2011 geschieht. Was damals, als der Aufstand begann, richtig war, und was falsch war. Und wie die Zukunft sein wird.
Gleichzeitig möchte ich den Zuschauern in Europa vermitteln, was in Syrien geschieht, wovon die Medien nicht berichten.
Mohammad Al Attar: Wir wollen den Blick hinter die dominante Berichterstattung wagen, weg von den politischen Analysen, die uns die Massenmedien liefern. Wir erzählen von normalen Menschen, und wie die Ereignisse ihr Leben beeinflussen.
Damit will ich nicht sagen, dass wir die politische Analyse ignorieren oder unterschätzen. Aber indem wir uns auf diese intimen persönlichen Geschichten konzentrieren, lernen wir mehr und verändern die vorherrschenden Stereotypen und Klischees, die es über Syrien gibt.
In Europa scheinen sich die Menschen vor allem wegen der Flüchtlingskatastrophe Sorgen zu machen, weniger wegen der unerträgliche Situation in Syrien. Europa schottet sich ab und lässt die Menschen in Syrien allein. Ist das auch Motivation für Sie, ein anderes Bild von Syrien zu vermitteln?
Omar Abusaada: Ich möchte den Menschen zeigen, warum die Flüchtlinge nach Europa kommen. Ich will davon erzählen, wie das alles anfing, und was nun die Gründe für die Flucht sind. Ich kenne das Problem.
Aber ich will, dass die Menschen erfahren, warum Flüchtlinge ihre Häuser verlassen, wie ihr Leben davor in Syrien war.
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Denn das ist etwas anderes, als was die Bilder der Flüchtlingsströme zeigen. Da spürt man nicht, dass sie alle Individuen sind, die ihre Geschichten haben, ihre Häuser, ihre Motive.
Koma bedeutet aber auch, dass es immer noch Hoffnung gibt. Vielleicht wenig, aber dennoch besteht die Möglichkeit, dass der Patient aufwacht. Haben Sie Hoffnung?
Mohammad Al Attar: Manchmal muss man sich dafür entscheiden, optimistisch zu sein. Im Stück bringt das Koma die Menschen zusammen, es gibt Leben um den Patienten herum, schwierige Konfrontationen, schmerzhafte Erinnerungen, unterdrückte Emotionen und Konflikte, die vertagt worden waren.
Es geschieht etwas – und das macht mich optimistisch, auch für Syrien. Nicht für heute, nicht für die nahe Zukunft, aber der Wandel hat begonnen, auch wenn er sich im Moment nicht so entwickelt, wie wir es uns am Anfang des Aufstandes vorgestellt haben.
Wenn man aber nach vielen Jahrzehnten ein verborgenes Grab öffnet, dann kommt viel Verrottetes zum Vorschein. Und dennoch – wir haben es geöffnet. Auch wenn der Wandel noch Generationen dauern wird.