Geld gegen Reformen. Wenn bis Ende Juni keine Einigung mit den internationalen Geldgebern vorliegt, gibt es keine weiteren Kredite für Griechenland. Politologe Christos Katsioulis spricht nach dem gestrigen Krisentreffen der europäischen Geldgeber von einer lähmenden Unsicherheit in Griechenland. Er leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen.
SRF News: Wie ist die Stimmung in Griechenland?
Christos Katsioulis: Die Spannung hat sich zum Wochenende hin nochmals gesteigert. Gestern Abend wurde dann deutlich, dass es jetzt offensichtlich auf die entscheidenden Meter der Verhandlung zugeht. In den griechischen Medien wird hektisch über das Ergebnis des Krisentreffens spekuliert.
Es droht der Staatsbankrott. Wie lange kann Athen noch ohne neue Finanzhilfen seinen Verpflichtungen nachkommen?
Das ist eine Frage, die uns seit drei Monaten umtreibt die ich auch deshalb kaum beantworten kann. Es ist offensichtlich, dass das Land nicht mehr lange ohne weitere Finanzhilfe bezahlen kann. Vermutlich wird es die erste Tranche am 5. Juni noch begleichen können. Die Mitte Juni anstehende Tranche von 1,6 Milliarden Euro dann aber vermutlich nicht mehr.
Wie bezahlt Athen seine Rechnungen?
Im Moment zögerlich bis gar nicht. Insbesondere die Lieferanten des Staates werden aktuell kaum oder nur mit ganz grosser Verzögerung bezahlt. Hier versucht der Staat, alle Mittel für die Kredittranchen zusammenzukratzen.
Die Verhandlungen stocken. Die Unsicherheit ist gross. Tut Griechenland nicht genug, um die Reformen umzusetzen oder sind die Geldgeber zu streng?
Das kann man im Moment kaum ersehen. In Griechenland heisst es immer, die Geldgeber seien zu streng und sich untereinander nicht einig. Wenn man die deutsche Presse verfolgt, bekommt man den Eindruck, dass die Griechen nicht genügend tun und sich mehr anstrengen müssten. Es ist eine sehr undurchsichtige Verhandlungssituation, die vor allem die griechische Wirtschaft trifft. Diese Unsicherheit sorgt dafür, dass in der Wirtschaft nichts passiert und Griechenland dieses Jahr vermutlich wieder in eine Rezession rutscht.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, die Reformen voranzutreiben?
Das Hauptproblem Griechenlands zurzeit die Unsicherheit. Allem voran bräuchte es ein Ende der Grexit-Diskussion. Dazu kommt – und da ist sich auch die griechische Regierung einig – ein Bürokratie-Abbau zugunsten von Bürgern und Unternehmen. Dritter Punkt ist die Steuergerechtigkeit. Die Regierung hat begonnen grössere Steuerhinterziehungsfälle genauer zu untersuchen und versucht damit, den Staatshaushalt etwas besser dastehen zu lassen.
Premier Alexis Tsipras hat es nicht einfach, vor allem mit dem linken Flügel seines Bündnisses. Wie stark steht er in der eigenen Partei unter Druck?
Tsipras steht massiv unter Druck, weil die eigene Partei es nicht gewohnt ist, zu regieren und der linke Flügel maximalistische Forderungen stellt und das Wahlprogramm Buchstabe für Buchstabe umsetzen will. Tsipras muss in der Lage sein, jetzt einen Kompromiss mit den europäischen Partnern zu verkaufen. Das wird schwierig werden.
Erkennen Sie eine Strategie bei der griechischen Regierung?
Im Moment kaum. Die Regierung kam in den vier Monaten an der Macht kaum zum Regieren. Die sich abzeichnende Strategie scheint, dass man um jeden Preis einen Kompromiss erreichen möchte. Denn sonst ist die Liquidität Griechenlands nicht mehr gewährleistet.
Wie käme ein Austritt aus dem Euro, ein Grexit, in Griechenland an?
Die Auswirkungen wären wirtschaftlich dramatisch. Die Einfuhren nach Griechenland würden sich sofort verteuern. Das betrifft vor allem Medikamente, Treibstoff und Lebensmittel. Bürgerinnen und Bürger, vor allem Angestellte, würden eine dramatische Verschlechterung des Lebensstandards erleben. Gleichzeitig würde sich die Unsicherheit in der Wirtschaft noch über weitere Monate hinziehen. Der Einbruch in der Wirtschaftsleistung würde vermutlich noch viel stärker ausfallen als im Moment.
Griechenland und die Geldgeber, das ist ein Dauerhecheln zwischen Finanzhilfe und Rückzahlungen. Wie kommt man aus diesem Modus heraus, den Sie als «Mikromanagement» kritisieren?
Das ist die grosse Frage bei der Diskussion über ein mögliches drittes Paket. Es braucht eine neue Balance bei der von den Kreditgebern zu Recht verlangten Kontrolle der Reformen. Zugleich braucht es auf der anderen Seite «Ownership», indem sich die Regierung das Reformprogramm auch aneignet.
Aus meiner Sicht könne man Griechenland an eine längere Leine lassen, indem man sich beispielsweise an bestimmten gröberen Kriterien orientiert und nicht den griechischen Institutionen quasi einzelne Gesetze vorschreiben will. Denn mit einem solchen Mikromanagement wird viel Energie verschwendet, es gibt Streit und das Reformprogramm bleibt liegen.
Das Interview führte Simone Fatzer.