Die Nato geht davon aus, dass Russland am Wochenende bewusst den türkischen Luftraum verletzt hat. «Für uns sah das nicht wie ein Versehen aus», kommentierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel. Er wolle nicht über die Motive spekulieren, warne aber vor einer Wiederholung. Der türkische Luftraum sei gleichzeitig Nato-Luftraum, betonte Stoltenberg in Anspielung auf die türkische Bündniszugehörigkeit.
Berichte, wonach ein russisches Kampfflugzeug im türkischen Luftraum sogar sein Radar zur Zielerfassung nutzte, wollte Stoltenberg nicht kommentieren. Nach Angaben der Nato kam es sowohl am Samstag als auch am Sonntag zu Verletzungen des türkischen Luftraumes durch russische Kampfflugzeuge vom Typ SU-30 und SU-24. Sie ereigneten sich in der Region Hatay. Diese liegt an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien, in dem Russland seit der vergangenen Woche Luftangriffe fliegt.
Botschafter zum zweiten Mal einbestellt
Nach der zweiten Verletzung des türkischen Luftraums durch russische Kampfjets bestellte die Regierung in Ankara erneut den russischen Botschafter ein. Man habe noch einmal betont, dass ein solcher Vorfall nicht wieder vorkommen sollte, sagte eine Sprecherin des türkischen Aussenministeriums. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte: «Ein Angriff auf die Türkei ist ein Angriff auf die Nato, das sollte man wissen.»
Die russische Botschaft in Ankara teilte der Agentur Interfax zufolge mit, der Vorfall werde überprüft.
Russische Jets bombardieren Palmyra
Derweil bombardierten russische Flugzeuge die von der IS-Terrormiliz kontrollierte Wüstenstadt Palmyra. Bei rund 40 Angriffen seit dem Vortag seien in Syrien 19 IS-Kämpfer ums Leben gekommen, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, in Palmyra seien drei Munitionslager und 20 gepanzerte Fahrzeuge der Extremisten zerstört worden.
Undurchsichtige Strategie
Moskau betonte mehrfach, seine Bombenangriffe richteten sich gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und andere terroristische Organisationen. Allerdings kämpfen in der beschossenen Region auch gemässigte Rebellen gegen den IS. So berichteten Menschenrechtsbeobachter und andere Aktivisten am Dienstag auch von neuen russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib, die von verschiedenen Rebellen kontrolliert wird, die den IS bekämpfen.
Mehr als 40 Rebellengruppen werfen Russland zudem ein Massaker an Zivilisten in der Provinz Homs vor und drohten mit Vergeltung. Die gemässigten Rebellen hatten sich mit dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida und anderen Terrorgruppen zusammengetan, um gegen das Regime und den IS zu kämpfen.
Hinweise auf bevorstehende Offensive
Die russischen Luftangriffe auf die Rebellengebiete im Westen Syriens werden als Vorbereitung einer Bodenoffensive gewertet. Mögliche Angriffsziele seien die Stellungen der Rebellen nördlich der Stadt Homs. Dort werden im Moment offenbar Tausende Kämpfer mobilisiert – von den syrischen Streitkräften, der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah, den iranischen Revolutionsgarden und anderen verbündeten Milizen.
Der Iran soll bereits Bodentruppen nach Syrien gesandt und Truppen der Hisbollah zusammengezogen haben. Dies bestätigten ein US-Militärvertreter und ein Militärberater der gemässigten Freien Syrischen Armee (FSA). Der Iran wies diese Berichte zurück. Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament hat den Einsatz von Bodentruppen seines Landes in Syrien ausgeschlossen.
Eine Bodenoffensive dürfte die Kritik westlicher und sunnitischer Staaten hervorrufen, die die gemässigten Rebellen in Syrien unterstützen.