Die Lage in Libanon ist angespannt – in der Nacht wurden wieder Angriffe mit Toten und Verletzten gemeldet. Inmitten des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah versuchen viele Menschen im Land, das Leben so gut es geht fortzusetzen. Die freie Journalistin Stefanie Glinski berichtet aus Beirut über die Stimmung in der libanesischen Hauptstadt und die wachsenden Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen.
SRF News: Wie ist die aktuelle Lage in Beirut?
Stefanie Glinski: Gestern Nacht gab es wieder Anschläge in Beirut. Die letzte Woche war sehr heftig. Manchmal gibt es Warnungen vor den Anschlägen, manchmal nicht. Es sind wieder drei Journalisten im Süden des Libanon ums Leben gekommen, berichten mir Kollegen. Die Lage ist weiterhin sehr angespannt und es gibt täglich Todesopfer.
Wie präsent ist der Krieg im Alltag der Menschen in Beirut?
Der Krieg ist immer präsent. Zehntausende Geflüchtete aus dem Süden sind in der Hauptstadt. Die humanitäre Lage ist sehr schlecht. Es wird nun kälter, es fehlen Decken, Kissen und Kleidung.
Eine gewisse Normalität muss in das Leben der Menschen zurückkehren.
Insgesamt sind 1.2 Millionen Menschen geflüchtet. Das merkt man auch in Beirut – überall schlafen Menschen in Schulen, auf den Strassen oder in leerstehenden Wohnungen.
Wie gehen die Menschen in Beirut mit der Kriegslage um?
Die Menschen wissen, dass sie weitermachen müssen. Dieses Abnormale wird zur Normalität, obwohl das natürlich nicht normal ist. Trotzdem spielen Kinder weiterhin auf den Strassen, Menschen gehen zur Arbeit, einkaufen, ins Restaurant.
Manche haben Angst, dass sie zur Zielscheibe werden, wenn sie Menschen aus dem Süden aufnehmen.
Schulen sind zum grossen Teil noch geschlossen, auch weil dort viele vertriebene Menschen leben. Eine gewisse Normalität muss in das Leben der Menschen zurückkehren. Ansonsten kann man diese riesige Belastung gar nicht überleben.
Libanon ist kulturell unterschiedlich und unter verschiedenen religiösen Gruppen aufgeteilt. Nun werden Menschen aus dem Süden Richtung Norden verdrängt. Wie sehr vermischen sich diese Gruppen?
Libanon ist in Gebiete aufgeteilt, die jeweils mehrheitlich von Christen, sunnitischen oder schiitischen Muslimen bewohnt sind. Es gibt nun eine Vermischung der Bevölkerungsgruppen, was einerseits zu Hilfsbereitschaft, andererseits zu Misstrauen führt. Manche Menschen haben Angst, dass sie zur Zielscheibe werden, wenn sie Menschen aus dem Süden aufnehmen. Oder sie haben Angst, weil sie nicht wissen, wer diese Menschen sind. Einige Leute haben die Sorge, dass sie sich bald verteidigen müssen, weil ihre eigenen Gebiete in Gefahr kommen. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg ist nicht lange her. Und diese Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen, besonders gegen Menschen aus dem Süden und der Bekaa-Ebene, wo auch die Hisbollah präsent ist, besteht weiterhin und vergrössert sich.
Einige Menschen flüchten ins benachbarte Syrien. Was beobachten Sie da?
Mittlerweile sind fast 400’000 Menschen nach Syrien geflüchtet. Viele sind Syrer, viele sind auch Libanesen. Die syrische Regierung hat sehr viele verletzte Opfer aufgenommen, die behandelt werden. Viele Syrer lassen sich über illegale Wege über die Grenze schmuggeln, weil sie Probleme mit dem Assad-Regime haben oder weil sie dem Militärdienst beitreten müssten. Das kostet mittlerweile 150 US-Dollar. Diese Menschen fühlen sich in Syrien zwar sicherer als in Libanon, aber nicht sicher genug, um die offizielle Grenze zu passieren.
Das Gespräch führte Nina Gygax.