Es war für viele Beobachter ein Unglück zu viel, als in der Nacht vom 18. auf den 19. April 2015 um die 800 Menschen im Mittelmeer ertranken. Auf dem Weg in Richtung Lampedusa sank ein überfülltes Schiff rund 100 Kilometer von der libyschen Küste entfernt. Die Anzahl ertrunkener Flüchtlinge und Migranten auf der Mittelmeerroute war damit seit Anfang 2015 bereits auf weit über tausend gestiegen.
Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich im Mai auf eine neue Operation gegen Schleuserkriminalität, um weitere Tragödien im Mittelmeer zu verhindern. Im Oktober vergangenen Jahres begann die «Operation Sophia». 13‘000 in Seenot geratene Menschen wurden seither von den Kriegsschiffen gerettet. Bloss: Das Geschäft der Schlepper läuft weiter.
«Die Schlepperbanden reiben sich die Hände»
Der Grund, weshalb die Operation die Schlepper bis anhin nicht erreicht, ist völkerrechtlicher Natur. Ohne das Einverständnis der libyschen Behörden darf das Hoheitsgebiet des Landes nicht überschritten werden. Und dieses beginnt gemäss internationalem Seerecht zwölf Seemeilen (22,2 Kilometer) von der libyschen Küste entfernt. «Der EU sind die Hände gebunden», berichtet SRF-Korrespondent Philipp Zahn. Sie könne nicht über die vom Seevölkerrecht abgesteckte Zone des freien Meers hinaus aktiv werden. «Das gilt übrigens auch für die Aktivitäten der Mission ‹Triton› der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie der italienischen Operation ‹Mare Sicuro›», so Zahn.
Für Kriegsreporter Kurt Pelda resultiert hieraus ein Bumerangeffekt: «Die grössten Helfer der Schlepper sind internationale Operationen wie ‹Sofia›. Deren Einsätze beschränken sich nämlich darauf, die Migranten rechtzeitig zu retten und nach Sizilien zu bringen. Die Schlepper rechnen praktisch damit, dass ihr Auftrag erfüllt ist, sobald ihre Boote die libysche Küstenzone von 12 Meilen verlassen haben.» Deshalb könnten sich auch kleinere Schleppergruppen gut organisieren; für die Überquerung des libyschen Territorialgewässers würden diese auf einfache Schlauchboote zurückgreifen.
Es resultiert eine verzwickte Situation: Menschenleben auf dem Mittelmeer retten und zugleich der illegalen Migration in die Hände spielen, ohne diese bekämpfen zu können. Kommt dazu, dass sich die Lage verschärft: «Jetzt wo die Balkanroute geschlossen ist, reiben sich die Schlepperbanden in Libyen die Hände», betont Pelda. Er rechnet damit, dass im Mai die Hochsaison der Überfahrten beginnt.
EU hofft auf die Einheitsregierung
Ein Lichtblick ist die von der UNO vermittelte neue Einheitsregierung Libyens. Wie gross die Hoffnungen Europas in diese sind, zeigen die prompten Besuche in Tripolis der Aussenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens sowie Grossbritanniens. Dass die EU alles dafür tun will, die neue Regierung zu unterstützen, unterstreicht der Beschluss der EU-Aussenminister nach deren Brüsseler Treffen am Montag.
Die EU bereitet sich demnach auf militärische und zivile Einsätze in Libyen vor. Unverändert geht das aber nur mit dem Einverständnis Libyens: «Über Erfolg- und Misserfolg der ‹Operation Sophia› entscheidet zunächst, ob die neu amtierende Übergangsregierung in Libyen zu mehr Kooperation im Kampf gegen die Schlepper bereit ist oder nicht», fasst SRF-Korrespondent Zahn die Ausgangslage zusammen.
Mit Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch gibt es zumindest schon einmal eine offizielle Ansprechperson. Allerdings fehlt der Regierung noch die Zustimmung des international anerkannten Parlaments, das seinen Sitz in im ostlibyschen Tobruk hat. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier warnte denn auch davor, der neuen Regierung zu viel abzuverlangen. «Wir dürfen sie zum jetzigen Zeitpunkt, wo der Einflussbereich noch weitgehend auf Tripolis beschränkt ist, nicht überfordern», so Steinmeier.