Man sieht sie nur, wenn man genau hinschaut. Felsenhäuser, gebaut an unzugänglichen Stellen in den Felswänden über dem Tal. Es gibt nur eine Handvoll davon, die meisten im Bleniotal, im nördlichsten Zipfel des Tessins. Sie heissen «Casa dei pagani», Heidenhäuser. Man sagt, darin hätten sich einst Hexen versteckt auf der Flucht vor der Inquisition.
Das Heidenhaus oberhalb des Dorfes Dongio ist eines der am besterhaltenen. Der Weg hinauf, entlang steiler Felswände, ist nichts für Leute mit Höhenangst. Es braucht gutes Schuhwerk und starke Nerven. Oben angekommen, wird der Besucher mit einer wunderbaren Aussicht über das Bleniotal belohnt. Die Bürgergemeinde von Dongio hat entschieden, ihr Heidenhaus zu restaurieren und der Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen.
Hexen, Heiden und Räuber
Wer die Häuser gebaut hat, und warum, weiss man bis heute nicht. Viele haben schon versucht, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Die einen sagen, es sei ein Zufluchtsort für verfolgte Menschen gewesen für Heiden, Hexen oder Räuber. Andere sehen darin eine Art Festung oder militärischen Aussichtspunkt. Es gibt aber auch Menschen, die davon überzeugt sind, die Häuser hätten zu Kriegszeiten als Lager für überlebenswichtige Güter gedient.
Barbarische Völker zogen durchs Tal in Richtung Italien und zerstörten vieles. Die Leute wollten alles Überlebenswichtige an einen sicheren Ort retten.
Eine Toilette im obersten Stock
Das Heidenhaus von Dongio bestand früher einmal aus drei Stockwerken. Die Projektleiter der Restauration nutzten das Baugerüst, um das Haus von oben bis unten auszumessen und mehr über das rätselhafte Heidenhaus zu erfahren. Dabei fiel ihnen ein besonderes «Örtchen» im obersten Stock auf, eine sogenannte Abtrittnische. Diese «Toilette» lasse eine weitere Interpretation über den Nutzen des Hauses zu, sagt Fabrizio Conceprio von der Bürgergemeinde Dongio: «Vielleicht hat hier oben auch die Oberschicht im Mittelalter gelebt.»
Vor gut 1000 Jahren gebaut
Ende der 1970er Jahre hat der Zürcher Architekt Lukas Högl die Heidenhäuser im Bleniotal wissenschaftlich untersucht. Högl fand heraus, dass die Häuser ungefähr im Jahr 1000 gebaut worden waren. Bereits damals wies er darauf hin, dass man die besonderen Felsenruinen im Tessin dringend vor dem Zerfall retten müsste.
Die Restauration ihres «Casa dei pagani» kostete das kleine Tessiner Dorf Dongio 90'000 Franken. Ein Projekt, das man sich nur leisten könne dank der finanziellen Unterstützung anderer, wie Fabrizio Conceprio sagt. Dazu gehören die Gemeinde Acquarossa, die Zürcher Partnergemeinde Uetikon und die Stiftung Pro Patria.
Geschichten über die «Pagani»
Neben dem Heidenhaus in Dongio gibt es noch weitere Felsenhäuser im Bleniotal sowie an wenigen anderen Orten im Kanton Tessin. Von den meisten aber sind nur noch wenige Mauerwände übrig. Über die «Pagani», die Bewohner der Felsenhäuser, kursierten vor allem früher viele Geschichten. Von Hexen, die ins Tal kamen, um Kinder und Essen zu stehlen, aber auch von Berglern, die in Frieden mit den Talbewohnern lebten.