Es sind harte Zeiten für Jamila Gysin. Die junge Frau macht in Schweden ihr Masterstudium in Umwelt und Nachhaltigkeit. Doch nicht das Studium bereitet Gysin Sorgen, sondern ihre Finanzen. «Ich habe momentan 9000 Franken auf dem Konto und hoffe, dass ich das noch so rationieren kann, dass es reicht.»
Reichen muss das Geld, bis der Kanton Zürich Stipendien ausschüttet. Gysin hat Anrecht auf das Geld, sie muss aber damit rechnen, dass sie noch mehrere Monate warten muss.
So wie Jamila Gysin geht es vielen, die im Kanton Zürich wohnhaft sind und ein Studium oder eine Lehre absolvieren. Tausende warten noch immer auf Stipendien aus dem letzten Schuljahr. Dabei sollte der Entscheid eigentlich jeweils zu Beginn des Ausbildungsjahres im Herbst vorliegen.
Eine Umfrage von «10vor10+ unter den Kantonen zeigt: Nirgends in der Schweiz warten Studentinnen und Studenten auch nur annähernd so lange auf ihre Stipendien wie im Kanton Zürich. In Appenzell Innerrhoden und St. Gallen werden Stipendiengesuche beispielsweise innert weniger Tage beantwortet.
Die meisten anderen Kantone brauchen einen bis maximal drei Monate Bearbeitungszeit, nur im Jura sind es maximal sechs Monate. Auf verlorenem Posten steht dagegen Zürich – dort dauert es aktuell bis zu einem Jahr, bis ein Gesuch angeschaut wird. Der Kanton gelobte bereits vor geraumer Zeit Besserung, im Griff sind die Probleme nicht.
Eine Reform, die alles verschlimmert
André Woodtli leitet das zuständige Amt in der Zürcher Bildungsdirektion. Er sagt, Schuld an den Wartezeiten sei eine Reform des Zürcher Stipendienrechts. Sie habe auf einen Schlag zu neuen Abläufen und zu deutlich mehr Gesuchen geführt. «Wir haben in der Vorbereitung einen folgenschweren Fehler gemacht», räumt Woodtli ein. Er und sein Team seien davon ausgegangen, dass mit der Reform alles schneller vorwärtsgehe. «Das war zu optimistisch.»
Wir haben einen folgenschweren Fehler gemacht.
Bereits vor zwei Jahren ist die neue Reform in Kraft getreten, verbessert hat sich die Situation nicht. Die einzige wirksame Massnahme, um das Problem in den Griff zu bekommen, sei mehr Personal einzustellen, so Woodtli. Das brauche Zeit. «Sie finden auf dem Arbeitsmarkt niemanden, der das kann. Sie müssen die Leute schulen.»
Zwar hat der Kanton Zürich in den letzten zwei Jahren das Personal fast verdoppelt, dennoch geht es mit den Gesuchen weiterhin kaum vorwärts. Und dies, obwohl auch die verantwortliche Regierungsrätin, Bildungsdirektorin Silvia Steiner, bereits im letzten Winter Besserung versprach – im Parlament und auch gegenüber der «NZZ».
Sie sagte: «Spätestens bis Ende Jahr müssen die Bearbeitungszeiten wieder im Rahmen der festgelegten Dauer liegen». Im Kanton Zürich wären das eigentlich rund zwei Monate. Dennoch war diese Woche auf der Internetseite des Kantons zu lesen, dass aktuell Gesuche bearbeitet würden, die im Oktober 2021 eingegangen seien. Silvia Steiner selbst will die Umstände gegenüber «10vor10» nicht kommentieren und verweist auf Amtschef Woodtli.
Zwischen Hoffnung und Finanzsorgen
Für Studentinnen wie Jamila Gysin bleibt das Studentenleben also eine finanzielle Gratwanderung. Sie kann nur hoffen, dass der Kanton Zürich sein Versprechen hält und die Bearbeitungszeit massiv verkürzt.
Falls dies nicht geschieht, ist die Zukunft für viele ungewiss. Auch Jamila Gysin weiss nicht, wie es weitergehen soll, wenn ihr Konto leer ist. Ihre Familie auf jeden Fall kann sie nicht unterstützen.