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Strenge Regeln So reissen Zeugen Jehovas Familien auseinander

Wer die konservative Glaubensgemeinschaft verlässt, wird geächtet und isoliert. Das erlebt ein Geschwisterpaar.

Es ist ein Riss, der durch die Familie von Thomas Steiner geht – wie bei Tausenden anderen Familien in der Schweiz auch. Steiner ist bei den Zeugen Jehovas in Thun. Dort ist er Ältester, eine Art Würdenträger. Steiner hat sieben Geschwister. Doch nur mit fünf von ihnen hält er Kontakt.

«Zwei sind ausgeschlossen», sagt Steiner gegenüber der Rundschau. «Die haben sich entschieden, nicht Zeugen Jehovas zu sein.» Der Grund, warum die Schwester nicht mehr dabei ist: Sie lebt mit einem Mann zusammen, ohne verheiratet zu sein. Für die Zeugen Jehovas eine Sünde. Denn, so Steiner, das Zusammenleben ohne Trauschein werde in der Bibel als «Hurerei» bezeichnet.

Angehörige sollen mit Kontaktverboten mürbe gemacht werden

Steiner sagt, es sei für ihn schwer, keinen Kontakt zu halten: «Ich mag meinen Bruder und meine Schwester sehr. Ich hoffe, sie kommen zurück.»

Das ist der Sinn eines Ausschlusses, dass man sie bewegen kann, zurückzukommen.
Autor: Thomas Steiner Ältester bei den Zeugen Jehovas

Damit gibt Steiner zu, dass es sich um eine Art Erpressung handelt. Angehörige sollen mit Kontaktverboten mürbe gemacht werden. Sie sollen ihr Leben ändern und zurück zu den Zeugen Jehovas finden. Unter diesen rigiden Regeln der Glaubensgemeinschaft leiden viele.

Kein Sex vor der Ehe

Knapp 20'000 Mitgliedern zählen die Zeugen Jehovas in der Schweiz. Eine sektenähnliche Vereinigung, die strenge Regeln aufstellt: Kein Sex vor der Ehe, keine Bluttransfusionen – lieber nehmen sie den Tod in Kauf. Geburtstage, Ostern und Weihnachten dürfen sie nicht feiern – alles heidnische Bräuche.

Die Zeugen Jehovas sind überzeugt davon, dass Satan die Welt beherrscht und dass der Weltuntergang kurz bevorsteht. Um andere vor der Hölle zu retten, verpflichten sie sich, an der Strasse zu stehen und für ihre Religion zu werben. Mehr als das: Tag für Tag ziehen sie von Haustür zu Haustür, klingeln dort und versuchen, die Bewohner in ein Gespräch über Gott zu verwickeln. Das Ziel ist immer dasselbe: Mehr Glaubensbrüder für die Zeugen Jehovas zu gewinnen.

Zahl der Anhänger bleibt konstant

Die Rechnung scheint aufzugehen. Während andere Religionsgemeinschaften massiven Mitgliederschwund beklagen, bleiben die Zahlen bei den Zeugen Jehovas mehr oder weniger konstant. Diesen Sommer füllten sie das Hallenstadion. 9'000 Anhänger aus der ganzen Schweiz beteten zu Jehova.

Sexueller Missbrauch bei den Zeugen Jehovas

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Ein Bericht der Fachstelle Infosekta beschreibt den sexuellen Missbrauch an Kindern unter den Zeugen Jehovas. Die meisten Fälle würden nicht publik gemacht, heisst es dort. Grund dafür sei das abgeschottete System der Religionsgemeinschaft.

Infosekta schreibt, die Zeugen Jehovas wollten Anzeigen in Missbrauchsfällen vermeiden und sie von einem eigenen Gerichtskomitee beurteilen lassen. Dadurch werde «das dogmatische System zur täterschützenden Struktur».

In Australien hat die Aufarbeitungskommission von Missbrauchsopfern 1800 Fälle in den Datenbanken der Zeugen Jehovas gefunden. Keiner dieser Fälle wurde an die Polizei weitergegeben.

Diese Fälle in Australien könne er nicht beurteilen, sagt Thomas Steiner von den Zeugen Jehovas. Doch in der Schweiz gebe es klare Regeln: «Bei uns Zeugen Jehovas wird so etwas behandelt und nicht unter den Teppich gekehrt», versichert Steiner. «Jemand, der pädophile Handlungen begeht, wird bei uns ausgeschlossen.»

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