Erschütternd und berührend: Ursula Macfarlane erzählt im Dokumentarfilm «Untouchable» vom Aufstieg und Fall des Filmproduzenten Harvey Weinstein. Von Missbrauch über Mossad bis zu #MeToo: die Regisseurin im Gespräch über das System Weinstein und die Folgen.
SRF: Was war Ihre Motivation für die Doku «Untouchable», die das heikle Thema «sexueller Missbrauch» auf die Leinwand bringt?
Ursula Macfarlane: Ich kenne keine einzige Frau, die nicht eine Art MeToo-Erfahrung gemacht hat. Vielleicht keine so gravierende wie die Frauen im Film. Aber alltägliche Belästigungen oder Sexismus haben alle schon mal erlebt.
Als die Beschuldigungen gegen Harvey Weinstein in der «New York Times» und im «New Yorker» erschienen, fragte ich mich: Ist das der Wendepunkt? Ich weiss es nicht. Aber ich glaube, es ist der Beginn von Veränderung und Diskussion.
SRF: Was berührte, was empörte Sie beim Filmen am meisten?
Die Aussagen der Frauen berührten mich. Es war so schrecklich. Nicht nur, was Weinstein tat, sondern auch der Effekt, den er auf ihre Leben hatte.
Jedes Interview, das wir führten, war sehr emotional, schwer und bewegend. Und die Betroffenen mussten so viel Mut aufbringen, überhaupt mit uns zu sprechen.
Ärgerlich und frustrierend hingegen war, zu sehen, wie Harvey Weinstein ungestraft davonkam. Das ist so unfair. Man konnte in den Gesichtern der Frauen den Schmerz lesen, der sie Jahre oder Jahrzehnte quälte. Das ist herzzerreissend.
SRF: Warum konnte Weinstein so lange ungeschoren davonkommen?
Er hatte enorme Macht, und viele Menschen hatten Angst vor ihm. Jemand im Film sagt: Er war wie ein Gangster. Viele hatten grosse Angst, gegen ihn auszusagen – aus verschiedenen Gründen.
Er gab ihnen Arbeit, konnte ihnen zu Oscars verhelfen und grossartige Filmverträge verschaffen. Es war im Interesse vieler, das Ganze unter dem Deckel zu halten.
SRF: Was lernten Sie selbst aus der Arbeit an «Untouchable»?
Eine ehemalige Angestellte zeigte uns eine Geheimhaltungs-Vereinbarung, die schockierend ist. Es heisst darin, dass sie mit niemandem über Weinsteins Machenschaften sprechen darf. Nicht einmal mit einem Therapeuten.
Und wenn doch, muss auch der eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen. Mich erstaunte, wie viel Geld Weinstein für Spione ausgab. Ehemalige Mitglieder des Mossad, welche die Frauen bespitzelten. Es war verrückt, wie in einem Thriller.
SRF: Was sollen die Leute aus Ihrem Film mitnehmen?
Ich möchte, dass die Menschen die Frauen im Film ansehen und begreifen, was Missbrauch bedeutet. Und dass sie sich vielleicht überlegen, was das für ihr eigenes Leben heisst. Ich will, dass die Leute über Mitschuld nachdenken.
Wir alle waren schon in Situationen, in denen wir Mobbing oder Belästigung erlebten. Ich will, dass die Menschen sich fragen: Sollte ich mutiger sein? Vielleicht kann auch ich meine Meinung sagen.
SRF: Harvey Weinstein gilt als brutaler Angstmacher. Fürchten auch Sie sich vor ihm?
Ich hoffe, er verklagt mich nicht. Aber ich denke, er ist zu beschäftigt. Schliesslich hat er ein Gerichtsverfahren vor sich. Ich hoffe, dass ihm schlicht die Zeit fehlen wird, irgendwen zu verklagen.