Sommer 1940. Die deutschen Truppen marschieren in Paris ein. Wie werden sich die Sieger verhalten, wenn sie das Kommando über das Zentrum der Kulturwelt übernehmen?
Jacques Jaujard (Louis-Do de Lencquesaing), der vom französischen Vichy-Regime eingesetzte Direktor des Louvre, will kein Risiko eingehen. Er und seine Vorgänger hatten angesichts der drohenden Kriegsgefahr schon früh die Schätze aus dem Louvre ausgelagert – in die geräumigen Keller der grossen Schlösser rund um Paris.
Mit viel technischem und personellem Aufwand wurden da akzeptable Lagerbedingungen geschaffen. Das weiss auch Franz Graf Wolff-Metternich (Benjamin Utzerath) zu würdigen, Hitlers Reichsbeauftragter für den Schutz der Kulturdenkmäler.
Feinde mit gemeinsamen Interessen
«Parlez-vous l’allemand?» fragt der Deutsche in Offiziersuniform den Direktor des Louvre bei der offiziellen Übernahme der Gebäude. «Nein, ich bin sehr französisch», antwortet Jacques Jaujard. Aber er und sein deutscher Gegenspieler, ein kulturbeflissener Adelsspross, werden sich sehr schnell einig.
Jaujard und Wolff-Metternich mögen Feinde sein, Besatzer und Besetzter. Aber beiden geht es darum, die Bilder und Skulpturen des Louvre zu schützen. Nicht nur vor Krieg und Zerstörung, sondern, und das ist auch Wolff-Metternich nur zu bewusst, vor dem Zugriff der Nazi-Bonzen.
Napoleons zweifelhafter Beitrag
Alexander Sokurows «Francofonia» ist ein hybrides Spektakel, eine Mischung aus dokumentarischen Aufnahmen, historischen wie neuen, und spielfilmartigen Rekonstruktionen. Sokurow hat mit Schauspielern im Louvre gedreht, in der Nacht, wenn die Räume leer waren.
Da treten nicht nur Jaujard und Wolff-Metternich auf, sondern auch Napoleon persönlich. Schliesslich, so meint dieser stolz im Rückblick, habe er mit seinen Feldzügen und den zusammengestohlenen Schätzen aus aller Welt überhaupt erst die Grundlage für das älteste und reichhaltigste Kunstmuseum der Welt geschaffen.
Auch das ist eine der Überlegungen, die Regisseur Sokurow in seinem permanenten Gedanken-Kommentar zum Film aufbringt: Die klassische, westliche Kultur im Louvre geniesst mehr Schutz und Ansehen, als viele russische Kulturgüter, die während dem zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder verschwunden sind.
Ein Spektakel mit Prädikat kulturphilosophisch
«Francofonia» ist ein kulturphilosphischer Filmessay, verpackt in spektakuläre Bilder und Spielszenen. Napoleon und Katharina die Grosse treten persönlich auf, Flugzeuge fliegen durch die Strassen von Paris, moderne Containerschiffe, mit Kunstwerken beladen, trotzen den Stürmen des Pazifik und Regisseur Sokurow telefoniert mit Produzenten und Mitkämpfern.
Sokurow treibt nicht mehr den Aufwand, der seinen Film «Russian Ark» vor vierzehn Jahren zu so einem unglaublichen Spektakel gemacht hat. Zweitausend Schauspieler und Komparsen waren damals beteiligt, drei Orchester, gedreht wurde in dreiunddreissig Räumen über einen imaginierten Zeitraum von dreihundert Jahren. Und das alles in einer einzigen, fliessenden Einstellung, ohne sichtbaren Schnitt, ein minutiös inszeniertes, theatralisches Spektakel.
Der multiperspektivische Aufwand für «Francofonia» ist dennoch beträchtlich. Neben umwerfenden und irrwitzigen Drohnenaufnahmen in den Strassen von Paris stehen rohe Fernsehbilder von einem Frachtschiff im Sturm, Skype-Gespräche zwischen Regisseur und Kapitän, Spielszenen mit Schauspielern in Kostümen und perfekt montierte zeitgenössische Dokumentaraufnahmen.
Und am Ende? Kopfzerbrechen
Über dem ganzen Aufwand steht die von Sokurow formulierte Frage: Ist eine Kultur schützenswerter als eine andere? Sind Kunst und das kulturelle Erbe für die Menschheit wichtiger als die individuellen Menschen? Wer definiert die Prioritäten?
Die Fragen kann niemand beantworten. Auch der Film nicht. Aber das Spektakel, das er offeriert, entschädigt für das Kopfzerbrechen, das er auslöst.