Den Weg ins Kino fand Staatsanwalt Fritz Bauer 2014 mit «Im Labyrinth des Schweigens». Lars Kraumes «Der Staat gegen Fritz Bauer» spielt ein paar Jahre früher als der Film von Giulio Ricciarelli. Er dreht sich um Bauers vergebliche Versuche, den Organisator der Vernichtungstransporte, Adolf Eichmann, aufzuspüren und in Deutschland vor Gericht zu bringen. Schliesslich bringt er den israelischen Geheimdienst Mossad dazu, Eichmann aus Südamerika nach Israel zu entführen.
Dramaturgische Freiheiten
Mit dem grossartigen Burghart Klaussner als Bauer und dem ebenso grossartigen Ronald Zehrfeld als seinem Verbündeten hat der Film zwei schauspielerische Trümpfe, die das etwas sehr saftig ausgeschmückte Drehbuch und den etwas theatralischen Spielfilmverlauf beinahe wettmachen.
Die durchaus gekonnt fiktionalisierte Geschichtslektion für die Nachgeborenen erlaubt sich einige dramaturgische Freiheiten. Die grösste davon ist der Einfall, Fritz Bauers erst kürzlich via dänische Polizeiakten verbriefte Homosexualität als zusätzliches dramatisches Element zu nutzen – und dies erst noch indirekt.
Denn Bauer und sein Mitstreiter wissen genau, dass die Kontaktaufnahme mit dem Mossad verfassungstechnisch einem Landesverrat gleich kommt. Es bleibt ihnen allerdings nichts anderes übrig. Denn die deutsche Justiz und insbesondere die Sicherheitsdienste sind von Altnazis durchsetzt, einer von Adenauers wichtigsten Mitarbeitern ist einer von denen, und selbst die Amerikaner sind mittlerweile mehr an der Stabilität der Bundesrepublik im Kalten Krieg interessiert als an der Weiterführung der «Entnazifizierung».
Der Geheimdienstboss weiss um Fritz Bauers lange zurückliegende Festnahme in Dänemark und wäre durchaus bereit, die Geschichte zu nutzen um den lästigen Aufklärer aus dem Amt zu hebeln. Aber Bauer ist zu smart und hat vor allem seither konsequent auf das Ausleben seiner Sexualität verzichtet – zugunsten seiner Arbeit.
Wirkungsvolles Publikumskino
Bauer hat auch gemerkt, dass sein junger Staatsanwalt Karl Angermann seine Neigung teilt. Und er tut sich schwer damit. Bauer hat ihn gewarnt, sich erpressbar zu machen. Aber Angermann ist dermassen unglücklich mit seiner Frau und dermassen fasziniert von einem jungen Transvestiten in einem Nachtklub, dass er eben schliesslich doch zum Hebel wird, mit dem Bauers Gegner ihn zu Fall zu bringen versuchen.
«Der Staat gegen Fritz Bauer» ist ebenso wie «Im Labyrinth des Schweigens» als wirkungsvolles Publikumskino aufgezogen. Die sorgfältige Ausstattung, die andauernd rauchenden Männer, die Einblicke ins zeitgenössische Fernsehen und in die Mechanismen der Adenauerschen Bundesrepublik sind faszinierend und funktionieren als Retro-Aufklärung recht gut.
Geschichte als «Story», als vereinfachte, linearisierte Abfolge von Ereignissen, Folgen und Reaktionen: Das ist das Privileg und gleichzeitig die Achillesferse historisierender Spielfilme. Denn ohne ein gewisses Mass an moralischer Eindeutigkeit verliert diese Erzähltechnik ihren Motor.
Klaussners Klasse
Aber der Anker und das Highlight des Films ist ganz klar Burghart Klaussner. Er bringt den leicht bellenden Tonfall des echten Fritz Bauer, wie er in einer Originalaufnahme zu Beginn des Films zu sehen und zu hören ist, wunderbar zum Schwingen. Der Mann, der Morddrohungen erhält und keinen Vorwurf mehr scheut, als den, einfach ein «rachsüchtiger Jude» zu sein wird in der Darstellung Klaussners zu einem fassbaren Menschen und zu einem nachvollziehbaren, aufrechten Helden der Zivilcourage.
Kinostart: 1.10.2015
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 5.10.2015, 9:02 Uhr