Als hätte sie eine Vorahnung. «Ich bin übrigens immer noch am Leben. Aber gehe jetzt runter», simst Kim Wall ihrem Freund. «Ich liebe dich!!!!!! Er hat Kaffee und Kekse mitgebracht.»
Die schwedische Journalistin mit dem Faible für Verrückte befindet sich an Bord des Boots «UC3 Nautilus», das ein dänischer Erfinder gebastelt hat. Er soll die Hauptfigur ihrer nächsten «Homestory» werden.
Peter Madsen ist nicht nur in Fachkreisen als verschrobener Visionär bekannt. Man belächelt Dänemarks Daniel Düsentrieb auch als «Raketen-Madsen».
Stunden später fehlt von Wall jede Spur – und Madsen macht als mutmasslicher Mörder Schlagzeilen. Der Tüftler, ein Triebtäter? Die Medien haben angebissen, aber nicht die Kekse sind schuld.
Stichwort «Enthauptung»
Es dauert Monate, bis man Walls Kopf findet. Er liegt auf dem Meeresboden, eingepackt in eine Plastiktüte, deren Auftauchen Eisenteile verhindern. Der gefasste Peter Madsen wiederholt derweil die Worte «Unfall an Bord» und verwickelt sich in Widersprüche.
Dann taucht der rechte Arm des Opfers auf. Es ist das letzte fehlende Teil in einem bizarren Puzzle, in dem auch Madsens Smartphone zwei Wörtchen mitredet. «Schmerzen» und «Enthauptung» gehören zu den letzten Suchanfragen.
Tobias Lindholm, Regisseur der sechsteiligen HBO-Serie «The Investigation», erinnert sich mit Schrecken und Schaudern an die Schockwellen, die der Fall «Wall» schlug, der mit Madsens Verurteilung ein vorläufiges Ende finden wird. (Madsen sitzt lebenslänglich, sorgt aber im Oktober 2020 mit einem spektakulären Fluchtversuch abermals für Aufregung.)
Was ist passiert? Wann? Und wie findet man Leichenteile im Meer? Eine Tat und mehr Fragen als Ausrufezeichen in Kim Walls letzter, langer Kurznachricht.
Auf den echten Hund gekommen
Aufklärung, authentisch: Man habe das Unterfangen gewagt, sagt Tobias Lindholm in einem «Making of», das Furchtbare dieses Verbrechens und seiner Folgen akribisch zu rekonstruieren. Allerdings, das ist Lindholm und seinen Leuten wichtig, ohne dem Psychopathen Madsen Raum zur Entfaltung zu bieten, sondern der Polizei und den Trauernden.
Darum gehört die Bühne in «The Investigation» den Tauchenden, die in der Baltischen See nach Armen und anderen Extremitäten suchen. Deshalb birgt die echte Crew das U-Boot ein zweites Mal, das Madsen versenkt hat, um sein Verbrechen zu vertuschen. Deswegen zottelt Iso durch diese Serie. Ja, der Hund von Walls Eltern spielt sich höchstselbst.
Man könne ihnen diesen «Originialismus» als Jux vorhalten, lächelt Lindholm. Es habe aber dazu beigetragen, jene Nähe herzustellen, die jeder Wahrheitsfindung zuträglich sei.
Knabbern am Kitsch
Bei aller kriminalistischer Kunstfertigkeit, zu der schwedische Hunde gehören, die auf Schlauchbooten Schwimmwesten tragen, bevor sie ins Eiswasser hüpfen, um mit ihren spitzen Schnauzen Spur aufnehmen: «The Investigation» rührt auch ans Rührstück.
Wenn die Freundschaft sich entfaltet, die sich zwischen Walls Eltern und dem Chefermittler von Kopenhagens Mordkommission («Noch nie hat mich ein Fall so mitgenommen») zu entwickeln beginnt. Handfeste Umarmungen auf rustikalem Riemenparkett? Davon sei in den Medien nie die Rede gewesen sei, betont Regisseur Lindholm.
Licht im Dunkel
Gefühlsecht scheint auch Lindholms Leuchten in den Augen, wenn er gesteht, für ihn habe sich das Düstere der Tat in etwas Anderes, etwas Lichteres verwandeln können.
Der Mord werde bleiben, sagt Lindholm. Zuletzt habe aber die Menschlichkeit gesiegt: die Hartnäckigkeit der Helferschar, die Herzlichkeit der Hinterbliebenen, die Anteilnahme einer Nation. «The Investigation», sagt Lindholm, erzähle vom Bemühen, Ordnung ins Chaos zu bringen, das den Menschen ausmache.
Kim Walls Freund, so hat man lesen können, spielt ganz kurz mit dem Gedanken, seiner Freundin Kim auf Madsens U-Boot zu folgen, als er ihre SMS erhält. Was geworden wäre, wenn er es getan hätte? Die Welt wird es nie wissen.