Es ist ein satirischer «Fernseh-Versuchsbetrieb», der 1952 über die Bildschirme flimmert. Die Stars von damals sind versammelt: Cés Keiser spielt den Totsch, der durch das Fernsehstudio stolpert, und Margrit Rainer und Ruedi Walter spielen die «Beiträge», würde man heute sagen.
Wenn Rainer und Walter da auf dem Sofa sitzend in die Zukunft schauen, nämlich ins Fernsehen, dann tun sie das natürlich auf der Mustermesse. Die ist der Ort der Zukunft schlechthin. 100 Jahre lang werden hier die Neuigkeiten der Ingenieurskunst, des Handwerks, der Wirtschaft allgemein präsentiert.
100 Jahre Mustermesse bedeuten eine wechselvolle Geschichte. Sie ist erstmals ganz dokumentiert und liegt in einer fulminanten Publikation vor, herausgegeben von Esther Baur vom Staatsarchiv und dem Historiker Patrick Kury. Der sagt, die Messe sei als nationale Einheitsmesse gegründet worden und habe in den Zwischenkriegsjahren und auch während des Zweiten Weltkriegs signalisiert: Wir sind wer und wir können was. Sie war eine «jährliche Landi 39». In den 1960er-Jahren internationalisiert sich die Messe. 1961 sind erstmals «nicht-schweizerische Erzeugnisse» zugelassen.
In den 1970er-Jahren bekommt die «Mutter aller Messen» verschiedene Kinder. Das eine Kind soll auf eigenen Füssen stehen: 1973 zieht die «Europäische Uhren- und Schmuckmesse» aus, sie wird später «Baselworld» heissen. Das andere Kind wird «adoptiert». Es hört auf den Namen «Art».
Ab der Jahrtausendwende ist die Mustermesse nicht mehr der Platz, an dem das Neueste zu sehen ist, das Internet ist schneller. Aber die Messe ist quantitativ gewachsen, mehr Aussteller, breitere Produktpalette. Die Messe sei zu einem «Spiegel gesamtgesellschaftlicher Strukturierung» geworden, sagt Kury.
100 Jahre Mustermesse – Perlen aus dem Archiv:
1. Sondernummer Mustermesse
1943. Die Mustermesse boomt: Jedes Jahr muss sie ihre Ausstellungsfläche erweitern. Halle 8 wird in Betrieb genommen. Aus der Uhrenindustrie kommen 50 Prozent mehr Aussteller. Nur Superlative reichen aus, schweizerische Leistungen zu beschreiben: «Weltruf durch Präzision», «Spitzenleistungen». Textil- und Stickerei: «Qualitätsarbeit». «Pionierarbeit der chemischen Industrie». Kleine Schweiz – ganz gross in schwierigen «Krisen- und Kriegszeiten».Sondernummer: Mustermesse Basel vom 9.4.1943 1972 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#137#1*)
2. Die Bedeutung der Muba für die Wirtschaft
1966. Der Bundesrat drängt auf Dämpfung der Wirtschaft. Ein «ruhiges Wachstum» ist gewünscht, keine Überhitzung. Bei voller «Beschäftigung einheimischer Arbeitskräfte, optimaler Ausnutzung der Produktionsmittel. Wachstum im Gleichgewicht.» Mit der boomenden Mustermesse verträgt sich das schlecht. Die expandiert, der Wettbewerb stachelt die Aussteller an, keiner mag fehlen und der Konkurrenz das Feld überlassen. Fünf Jahre vorher wurden «nicht-schweizerische Erzeugnisse» zugelassen. Der Wettbewerb internationalisiert sich.3. Die erste Art überhaupt
1970. Die erste «Art» entsteht als Zusammenarbeit der Messe und zahlreicher Galeristen. Die Berichterstattung verhält sich zurückhaltend: Zu beliebig die «Provokationen hinter Glas». Kunstwerk und Kunstmarkt würden sich schlecht vertragen, heisst es. Die erste Art – zwischen Picasso und Pop – ist ein «Adoptivkind» der «Mutter aller Messen». Heute ist die Art eine weltweite Marke. Mutter könnte stolz sein.4. Messefieber
1972. «Messefieber» ist ein Beitrag der Schweizer Filmwochenschau. Er zeigt den Blick hinter die Kulissen, den Count Down: Sechs Stunden vor Türöffnung wird noch gebaut, gestrichen, geputzt. Teppiche werden gerollt. Und als dann die Tür aufgeht, strömen sie, die Besucher, zu tausenden und unter ihnen: Janosch. Der ist überall da, wo es etwas umsonst gibt. Amüsante Filmwochenschau von 1972.Messefieber, Beitrag der Schweizer Filmwochenschau vom 13.4.1972 (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1537#1*)
5. Rundgang über die Uhrenmesse und die Muba
1974. Rundgang über die Uhrenmesse. Ein Jahr vorher hat der Verwaltungsrat der Mustermesse beschlossen, die Uhrenmesse als selbstständige Fachmesse parallel zur Mustermesse durchzuführen. Zugelassen sind neben Schweizer Ausstellern auch die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der EFTA. Die «Mutter aller Messen» lässt ein Kind ziehen, andere werden folgen.6. Porträt rückwärtige Dienste
1973. Die «Antenne» bringt einen Beitrag über die «rückwärtigen Dienste» an der Mustermesse. Gemeint sind damit die Männer der Securitas, die Verkehrspolizisten, das Reinigungspersonal und die Kindergärtnerinnen, die wochentäglich 350 Kinder hüten, an Wochenendtagen jeweils 800. Alle Kindergärtner versehen mit dem gelben Hut.
Der gelbe Hut des «Mustermesse Kindergartens» findet sich in wohl jedem Schweizer Familienalbum. Esther Baur sagt dazu: «Die Muba war ein Datum in der Agenda jeder Familie. Sie war ein Erlebnis. Man sagte sich: ‹Dort seh‘ ich das Neueste.›» Die Mustermesse ist ein Stück Schweizer Geschichte, bis 2009 dokumentiert in deren Archiv.
Dann sollte das Haus, in dem sich dieses Archiv befand, abgerissen werden. Christoph Lanz von der MCH Group ruft Esther Baur an. Er wolle das Archiv der Mustermesse in treue Hände übergeben. Und es müsse aufgearbeitet werden. Esther Baur vom Staatsarchiv und mit ihr das Schweizerische Wirtschaftsarchiv sind sofort dabei. Das sei ein unglaublicher Schatz von über einer Million Dokumenten.
Das Archiv dokumentiere nicht nur, wie sehr die Mustermesse in der Politik und Wirtschaft verankert sei, sagt Baur, wie sehr Sozial- und Kulturgeschichte hier zusammen laufen, sondern wie sehr all das mit Familiengeschichten verwoben sei: «Generationen sind als Kind, Eltern und Grosseltern über die Messe gegangen. Der Platz unter der grossen Uhr ist ein Ort kollektiver Erinnerung über Generationen. Und denkt man heute zurück, dann merkt man, wie sehr man selbst Teil dieser Geschichte ist.»