Es vergeht kein Tag, ohne schreckliche Nachrichten aus Syrien: Die Zahl der Toten steigt, die Bilder zerschossener Städte häufen sich. Und doch können sich Aussenstehende kaum vorstellen, was der Bürgerkrieg für die Menschen vor Ort bedeutet.
Nawras Sammour weiss es. Er leitet den Flüchtlingsdienst der Jesuiten in Damaskus. Dieser wurde gegründet, um irakischen Flüchtlingen zu helfen. Dann brach 2011 der syrische Bürgerkrieg aus. Und seither flüchten Syrer vor Syrern.
5000 warme Mahlzeiten pro Tag
«Wir arbeiten in Aleppo, Damaskus und Homs und unterstützen die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln, Matratzen und Medikamenten», erzählt Sammour im Gespräch. Besonders Kinder und Jugendliche liegen Sammour am Herzen. Zusammen mit Sozialarbeitern und Lehrerinnen hilft er ihnen, Kriegserlebnisse zu verarbeiten. In mobilen Feldküchen wird zudem gekocht. 5000 warme Mahlzeiten kann der Flüchtlingsdienst pro Tag zubereiten.
Die Jesuiten, die seit Jahrzehnten in Syrien arbeiten, verfügen vor Ort über ein Netzwerk von gut ausgebildeten Fachkräften. Viele melden sich freiwillig und übernehmen beispielsweise einen Nachmittag oder eine Nachtschicht am Wochenende. Alle Notleidenden erhalten Unterstützung, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, wie Sammour erkärt:
Kräfte aus dem Ausland sind mitschuldig
Die Bilder, die uns aus Syrien erreichen, zeigen ein zerstörtes Land. Doch Nawras Sammour betont im Gespräch, dass das Leben fast überall weitergeht. Weitergehen muss. Aber er verschleiert auch nicht, dass dieser Krieg, der als Volksaufstand begonnen hat, immer mehr zu einem Religionskonflikt wird. Daran seien aber auch Kräfte im Ausland mitschuldig:
«Es geht um die politisch-religiöse Vormachtstellung in der Region. Das weiss jeder, das muss man nicht verschleiern. Die Türkei hat starke strategische Interessen, der Iran, aber auch Katar und Saudi-Arabien. Das ist mehr und mehr ein Problem für mein Land, wo es eine sunnitische Mehrheit gibt. Dazu aber auch Schiiten, Christen, Alawiten und Drusen.»
Und als «homme de terrain» betont Sammour auch wie unsinnig seines Erachtens die gegen Syrien verhängten Sanktionen sind: «Wenn Sie Öl mit einem Embargo belegen, dann treffen Sie damit die einfachen Leute, denn die können nun das Heizöl nicht mehr bezahlen.»
«Mit einer Kalschnikow schafft man keine Demokratie»
1,5 Millionen intern Vertriebene, schätzt Sammour, dürfte es inzwischen geben. Dazu kommen noch einmal etwa so viele, die ihren Arbeitsplatz und damit ihre Existenz verloren haben. Diese Menschen haben nichts zu essen, kein Dach über dem Kopf und keine winterfeste Kleidung.
Deshalb gibt es immer mehr Leute, die fordern, man müsse die Rebellen mit Waffen versorgen. Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami gehört dazu, aber auch der Jesuitenpater Paolo Dall’Oglio, ein Freund von Nawras Sammour. Sammour stellt die Gegenfrage: «Sie wollen mit Waffen Frieden schaffen? Mit einer Kalaschnikow schafft man keine Demokratie.»