In Gesprächen über Gott und die Welt hört man regelmässig die folgenden sechs Behauptungen. Wir haben zwei Philosophen mit diesen Thesen konfrontiert: Holm Tetens als Verteidiger des Glaubens und Philipp Hübl als Atheisten.
1. Wir glauben an Gott, weil es uns dann besser geht. Gott ist also lediglich eine nützliche Illusion und Religion blosses Wunschdenken.
Holm Tetens: Wo ist die definitive Widerlegung des Daseins Gottes? Der Gottesglaube ist doch nicht deshalb schon falsch, weil er uns erlaubt, die Welt und das Leben der Menschen in einem hoffnungsvollen Licht zu sehen. So lange das Dasein Gottes nicht widerlegt ist, spricht es nicht gegen, sondern gerade für den Gottesglauben, dass er im Gegensatz zur Sicht des Atheismus für die Welt und das menschliche Leben Gutes erhoffen lässt.
2. Der Glaube an Gott gibt uns Kraft und motiviert uns, moralisch gut zu handeln. Ohne den Glauben wäre das Leben als Ganzes vollkommen sinnlos.
Philipp Hübl: Das Leben ist sinnlos, weil es keinen «höheren» Sinn gibt neben jenem, dem man selbst dem Leben gibt. Statt sich dieser Tatsache zu stellen, verdrängen viele Menschen ihre Sterblichkeit und hoffen auf ein Leben nach dem Tod. Und Moral braucht keinen Gott. Viele Atheisten führen wie Gläubige ein gesetzestreues Leben.
Wir leben in Europa nach den höchsten ethischen Standards der Menschheitsgeschichte – und niemals gab es mehr Atheisten. Europa versinkt nicht in moralischer «Orientierungslosigkeit», sondern wir werden immer friedlicher, was man an der kontinuierlich sinkenden Kriminalität sehen kann.
3. In einer Welt voller Kriege, Krankheiten und Katastrophen kann es keinen guten und allmächtigen Gott geben.
Holm Tetens: Die Tatsache von Übeln und Leiden in der Welt allein widerlegt nicht das Dasein Gottes. Das sieht man an der Existenz des Bösen in der Welt: Wenn Gott uns als freie und selbstverantwortliche Wesen will und geschaffen hat, muss und wird er die Möglichkeit zulassen, dass Menschen moralisch versagen.
Schwerer zu verstehen sind Krankheiten und Katastrophen, die Menschen nicht zu verantworten haben. Wir wissen nicht, warum Gott sie zulässt. Aber auch aus dieser Unwissenheit folgt nicht, dass Gott unmöglich existieren kann. Zugegeben, Krankheiten und Naturkatastrophen sind ein Stachel im Fleisch des Gottesglaubens.
4. Gott lässt sich zwar nicht beweisen, jedoch auch nicht widerlegen. Und was nicht widerlegt ist, daran darf geglaubt werden.
Philipp Hübl: Dann darf man auch an das Spaghetti-Monster oder an unsichtbare Einhörner glauben. Die Frage ist: Hat man gute Gründe anzunehmen, dass höhere Wesen existieren? Ockhams «Rasiermesser», ein wichtiges Prinzip der Wissenschaft, besagt: Man soll Seiendes nicht ohne Not vermehren, denn Existenz-Annahmen sind eine Bringschuld. Das heisst: Wer an höhere Wesen glaubt, muss Hinweise liefern.
Keiner der vermeintlichen Hinweise für Gott hat sich bisher als stichhaltig erwiesen. Ockhams Klinge ist so scharf, dass sie Wotan, Athene, Isis, Gott und andere Phantasiewesen aus Erklärungsversuchen herausschneidet.
5. Gott ist ein Lückenbüsser für Dinge, die wir noch nicht erklären können. Früher glaubte man, Zeus schleudere die Blitze, heute wissen wir es besser.
Holm Tetens: Gott ist kein Lückenbüsser für Dinge, die wir nicht erklären können, sondern der geistige Schöpfer der gesamten Welt. Er hat auch die Naturgesetze geschaffen, mit deren Hilfe wir Vieles in der Welt erklären können.
Falls wir immer mehr Phänomene naturgesetzlich erklären können, soll uns das recht sein. Das widerlegt nicht das Dasein Gottes oder macht seine Annahme überflüssig. Es zwingt uns nur zu der interessanten und aufschlussreichen Frage, warum Gott eine Welt schafft, die von Naturgesetzen beherrscht wird. Eine Teilantwort: Ohne Naturgesetze, auf die wir uns verlassen dürfen, könnten wir Menschen gar nicht zielgerichtet und absichtsvoll handeln.
6. Die Wissenschaft kann Vieles nicht erklären, etwa die Existenz des Universums oder die Tatsache, dass wir ein Bewusstsein haben. Ohne Gott kommt man da nicht sehr weit.
Philipp Hübl: Erklärungen sollen etwas Unklares durch etwas ersetzen, das klarer oder besser verstanden ist. Mit Gott vergrössert man die Unklarheit. Dieser Fehlschluss heisst «obscurum per obscurius»: etwas Dunkles durch etwas Dunkleres ersetzen.
Das Rätsel um die Entstehung des Universums löst man nicht mit einem «unendlichen Geist». Denn es stellen sich zwei neue Fragen: Wer hat Gott erschaffen und wie hat er die Welt erschaffen? Wenn überhaupt, ist das Universum selbst der unbewegte Beweger. Bewusstsein hingegen hängt vom Hirn ab. Diese Abhängigkeit ist sonderbar, spricht aber deshalb nicht für Gott.