Das Wichtigste in Kürze
- In Nordirland steht die Konfession unweigerlich auch für ein politisches Credo.
- Protestanten stehen für die Loyalität zum britischen Staat.
- Katholiken unterstreichen die irische Andersartigkeit – aber nicht alle befürworten die irische Wiedervereinigung.
- Religion ist dabei mehr ein Etikett der Gruppenzugehörigkeit. Religion im engeren Sinne spielt im Konflikt kaum eine Rolle.
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Wenn die Bewohner der Insel Irland eine andere Hautfarbe hätten als die Engländer, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, die Konfession als Unterscheidungsmerkmal zwischen Herrschern und Beherrschten auszuwählen. Dass es so kam, liegt an einer Entscheidung, die vor gut 400 Jahren getroffen wurde.
Damals begann Jakob I., der König von England, mit einer umfassenden Besiedlung Nordirlands durch englische und schottische Untertanen. Auch wollte er der katholischen Bevölkerung den Protestantismus aufzwingen. Katholiken auf der ganzen Insel wurden systematisch diskriminiert.
Konfession als Merkmal der Stammeszugehörigkeit
So ist die Konfession zum Etikett geworden, um die Kontrahenten eines uralten Zwistes zu unterscheiden. Mit Ausnahme von ausgeprägt evangelischen Hitzköpfen führt kaum jemand in Nordirland die Spaltung in Katholiken und Protestanten auf das unterschiedliche Verständnis des Abendmahls oder auf die Verehrung der heiligen Jungfrau zurück.
In den frühen 1920er-Jahren kam es schliesslich zur Teilung der Insel Irland in den irischen Freistaat und das bei Grossbritannien verbleibende Nordirland. Dabei wurde die Grösse von Nordirland nachweislich so bestimmt, dass der Nordost-Zipfel der Insel eine protestantische Zweidrittelsmehrheit aufweisen würde. Inzwischen sind die Mehrheitsverhältnisse ungefähr paritätisch – mit grossen regionalen Abweichungen.
Unbequeme Untertanen werden zu Loyalisten
Da die Reformation in Irland nicht stattfand, handelt es sich bei den Protestanten fast ausschliesslich um die Nachfahren jener schottischen und nordenglischen Wehrbauern, die dort von der englischen Krone zu Beginn des 17. Jahrhunderts planmässig angesiedelt wurden.
Ihre Herkunft erklärt auch, weshalb sie mehrheitlich presbyterianisch und nicht anglikanisch sind. Sie huldigen also einem etwas radikaleren Bekenntnis, das sich stark auf die Lehren von Johannes Calvin beruft.
Die Presbyterianer waren ursprünglich unbequeme Untertanen der Krone («Dissenters»), doch inzwischen ist die Verknüpfung zwischen der protestantischen Konfession und der britischen Krone nahezu allgemeingültig. So steht die Konfession unweigerlich auch für ein politisches Credo: die Loyalität zum britischen Staat – der Union. Deshalb werden sie auch Unionisten oder Loyalisten genannt.
Katholiken wurden unterdrückt
Bei den Katholiken verlief der Prozess spiegelbildlich: Die systematische Unterdrückung des Glaubens wich allmählich subtileren Methoden der Diskriminierung, namentlich nach der Teilung Irlands. Die Bürgerrechtsbewegung, die am Ursprung des Nordirlandkonflikts stand, wehrte sich genau gegen diese Apartheid-ähnlichen Zustände.
Doch auf der ganzen Insel wurde das katholische Bekenntnis austauschbar mit dem Wunsch nach irischer Eigenstaatlichkeit, mit der Überzeugung, anders als die Briten – oder besser, die Engländer – zu sein. Deshalb bezeichnen sich irische Katholiken oft auch als Nationalisten oder, wenn sie gewalttätige Methoden dulden, als Republikaner.
Nach der Teilung führte dies dazu, dass der junge Freistaat, der sich allmählich in die heutige Republik verwandeln sollte, immer katholischer und engstirniger wurde, während in Nordirland – nach den Worten eines frühen Premierministers – «ein protestantisches Parlament für ein protestantisches Volk» entstand.
Alte Zweiteilung bleibt bestehen
Der nordirische Friedensprozess hat seit 1998 zu einer dramatischen Entspannung zwischen London und Dublin geführt. Diese überfällige Normalisierung der bilateralen Beziehungen wurde 2011 symbolträchtig bei einem Besuch der Queen in Irland besiegelt. Doch Nordirland folgte diesen Signalen nur bedingt.
Die alte Zweiteilung – einer Stammeszugehörigkeit ähnlicher als einer religiösen Schablone – besteht fort. Politik wird unverändert als Nullsummenspiel verstanden, in dem die eine Seite automatisch verliert, was die andere gewinnt.
Kein Religionskonflikt im engeren Sinne
Die Nordiren selbst benutzen die Etiketten «katholisch» und «protestantisch», wenn sie nicht zu abfälligeren Varianten greifen. Natürlich ist es kein Religionskonflikt im engeren Sinne, aber wenn man Religion oder Konfession als Bündel von Werten, Hoffnungen und Denkmustern versteht, dann lässt sich die Konfession nicht aus den Erklärungsmustern entfernen – auch wenn aufgeklärte Beobachter von aussen dies gelegentlich gerne möchten.