Die Urwald-Bilder entstanden aus einem Geschmack am Kontrast. Vor einigen Jahren bereiste Guido Baselgia Ecuador und entdeckte auf 3500 Metern Höhe einen Hochwald: «Das hat mich beschäftigt», sagt der Fotograf: «Diese undurchdringliche Üppigkeit des Dschungels.»
Doch wie lässt sich diese Üppigkeit des Waldes, die Dichte der Vegetation fotografisch fassen? «Das war eine der grossen Herausforderungen: Für diesen Dschungel eine Bildgestaltung zu finden, die funktioniert, die wiedergibt, was mir vorschwebt.»
Geheimnissvolles Lichtspiel
Also fand und kombinierte Guido Baselgia unterschiedliche Formen und Formate. In den dichten Nebelwäldern am Berghang entstanden Aufnahmen mit harten Kontrasten: Vor dem weissen Nebel zeichnen schwarze Äste und Zweige dichte, unregelmässige Muster.
Oben im Hochwald fotografierte Baselgia in Wäldern, die so dicht stehen, dass das Licht nur zaghaft in ihre Tiefen vordringt. Den Bildern haftet ein geheimnisvoller, silbergrauer Grundton an.
Fotografien, die ein Gefühl transportieren
Die Schau in Winterthur vereint zahlreiche Baumporträts. Eines ist so gross, dass es auf drei Papierbahnen gedruckt wurde und eine ganze Wand füllt – ein gigantisches Bild, das nur einen verkleinerten Ausschnitt eines viel grösseren Baums wiedergibt. Andere Bilder zeigen Früchte, Wurzeln, kleine Details auf Diapositiven im Postkartenformat.
Das Zusammenspiel dieser Aufnahmen vermittelt eindrucksvoll, wie schwierig es ist, den Erfahrungsraum Urwald fotografisch abzubilden. Also nicht bloss das Blätterdickicht abzuknipsen – sondern das Gefühl zu transportieren, das dieser dichte, verschlungene Wald evoziert.
Wichtige Arbeit in der Dunkelkammer
Ein Gefühl, das noch in der Erinnerung lebt, wenn Guido Baselgia seine Aufnahmen Wochen oder Monate später in seiner Dunkelkammer daheim im Engadin entwickelt: «Die Erinnerung verändert sich, die Zeit verändert sich. Der zweite Teil, die Dunkelkammer, ist gleichbedeutend wie die Aufnahme an sich.»
In der Dunkelkammer besorgt Baselgia sozusagen das Fine-Tuning: Aufnahmen aus dem Urwald-Dickicht, dort, wo es auch am hellen Mittag dämmerig ist, zieht er auf vorbelichtetes Baryt-Papier ab, um «dieses homogene, dieses alles durchdringende Licht, einzufangen», wie er es ausdrückt.
Der Wald steht Kopf
Doch die Dunkelkammer ist für Baselgia auch ein Ort, an dem sich grosse Rätsel knüpfen. Zum Beispiel bei der Entwicklung der Aufnahme eines Ceibo-Baumes. Von dem Bild hatte Baselgia zwei Abzüge gemacht und war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob das, was vor ihm auf dem Leuchttisch lag, das Negativ des Bildes war – oder doch das Positiv:
«Das hat die Frage nach Wahrnehmung und Wirklichkeit aufgebracht. Gewisse Momente kippen ins Positive oder ins Negative. Was sehen wir? War es so, wie wir gemeint haben?»
Den Positiven stellt er die Negative gegenüber. «Bei keinem ist man sicher, ob es das Negativ oder das Positiv ist», erklärt er. Und nicht nur das: «Man ist auch gar nicht sicher, ob es auf dem Kopf steht. Es könnte auch umgekehrt sein, das Wurzelwerk des Baumes.»
Das Bild – oder die beiden Abzüge dieser Aufnahme – zögen dem Betrachter, der Betrachterin den Boden unter den Füssen weg, sagt Baselgia noch. Stimmt. Aber von einem fotografischen Meister wie Baselgia lässt man sich diese Irritation gern gefallen.