Es gibt viele Kunstmessen und internationale Ausstellungen – aber die Biennale in Venedig ist immer noch eines der grössten Kunstereignisse weltweit. Im Vorfeld der Eröffnung sind die Meinungen über die Schweizer Präsenz geteilt.
Für Begeisterung sorgt der Schweizer Pavillon. Dieses Jahr hat ihn Charlotte Laubard kuratiert, die an der Genfer Hochschule für Kunst und Design lehrt.
Zu sehen ist das Werk der Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz. Die beiden zeigen eine eindrucksvolle, vielschichtige Video-Installation mit dem Titel «Moving Backwards».
Pauline Boudry und Renate Lorenz leben in Berlin und arbeiten seit 2007 zusammen. Die beiden Künstlerinnen arbeiten mit Tänzern, Choreografinnen, Musikern, Künstlern zusammen. Ihre Videos wirken wie gefilmte Performances.
Rückwärts gehen, um vorwärts zu schauen
Der Titel «Moving Backwards» beschreibt etwas, was im Video immer wieder eine wichtige Rolle spielt: die fünf Tänzerinnen und Tänzer versuchen rückwärts zu gehen.
Das klingt banal, ist aber raffiniert choreographiert und entfaltet eine grosse symbolische Aussagekraft. Besonders schön wirkt dieses Rückwärtsgehen in einer Szene, in der eine Tänzerin in türkisblau leuchtenden Cowboystiefeln über die Bühne geht.
Die Schuhe haben beidseitig lange Spitzen – und keine Fersen. Der Körper der Tänzerin ist von einem langen, weiten Gewand verhüllt, ihr Gesicht von langen Haaren verdeckt.
Einen Moment lang ist unklar, wo hier eigentlich vorne und hinten ist, ob es vorwärts oder rückwärts geht. Dieses Uneindeutige ist typisch für «Moving Backwards».
Choreografien von grosser symbolischer Kraft
Dieses Uneindeutige ist typisch für «Moving Backwards». Das ganze Video spielt mit Gesten und Anspielungen, mit Grenzüberschreitungen und verschiedenen Tanzstilen. Die Bewegungen, die Kostüme, die Gesten sind wie ein Mosaik aus Pop und Tanztheater und Alltagsgesten.
Es gibt Frauen, die wie Männer agieren und Männer in Frauenkostümen. Es geht auf vielen Ebenen um Grenzüberschreitungen.
Lange Schlangen vor dem Pavillon
Die Arbeit ist ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft, gegen den rechts-konservativen Backlash – ohne dass diese Botschaft platt oder dogmatisch wirken würde.
Die Mehrdeutigkeit der Video-Arbeit von Pauline Boudry und Renate Lorenz kommt gut an. Schon bei der Vorbesichtigung bilden sich immer wieder lange Schlangen vor dem Schweizer Pavillon.
Ein gekentertes Flüchtlingsboot als Kunstobjekt
Für Kontroversen sorgt ein anderer Schweizer Künstler: Christoph Büchel. Er zeigt das Wrack eines im April 2015 gekenterten Flüchtlingsbootes als Objekt an der Biennale.
Beim Untergang des Schiffes sollen mindestens 700 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Präsentation sorgt für Proteste aus den Kreisen der rechten Regierungspartei Lega, die die Aktion als Provokation begreift.
Der Präsident der Biennale Venedig, Paolo Baratta, verteidigt Büchels Plan. Er denkt, das Wrack rege Menschen zum Nachdenken an. Und das sei eine der Hauptaufgaben der Kunst.