Die Ausstellung geht an die Nieren. Im Migros Museum für Gegenwartskunst wird einem bewusst: Viele der Künstlerinnen und Künstler der ausgestellten Werke sind bereits tot. Sie sind jung gestorben – mit 30, 35, 40 Jahren.
Allein das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Und es geht damit weiter, dass die gezeigten Werke starke Emotionen auslösen – zum Beispiel Trauer, wie im ersten Raum der Ausstellung.
Ein Video zeigt Nahaufnahmen von zwei Männern, die sich zärtlich umarmen, an den Händen halten, auf die Wange küssen. Der Titel gibt dem Werk eine tiefere Bedeutung: «Präludium zu einem angekündigten Tod». Das ist unmittelbar und traurig. Diese Nähe von Liebe und Tod hat aber eine ungeheure Wirkung.
Aids-Chronistin Nan Goldin
Sehr viele Kunstschaffende haben sich mit Aids auseinandergesetzt, weil die Kunst- und Kulturszene selbst stark davon betroffen war. Vor allem in New York, in den 1980er-Jahren der Hotspot der Kunstszene. Eine Art Chronistin der Aids-Krise in New York war die Fotografin Nan Goldin.
Sie fotografierte ihre Freunde in tagebuchartigen Serien. In der Ausstellung ist die Arbeit über ihre Freundin Cookie Mueller zu sehen: Fotografien aus 13 Jahren über die Schauspielerin, die ein kreatives und exzessives Leben lebte.
Die Serie endet mit zwei Beerdigungsszenen. In der einen sieht man Cookie Mueller vor dem Sarg ihres Mannes Vittorio Scarpati stehen – ebenfalls ein Künstler. Im nächsten Bild ist Cookie Mueller selbst aufgebahrt.
Die Krankheit hatte damals auch das jähe Abbrechen von Künstlerinnenkarrieren zur Folge und die Auslöschung von ganzen Freundeskreisen.
«He kills me»
Mit ihren Arbeiten verfolgen die Künstlerinnen und Künstler ganz unterschiedliche Ziele: Von Aufrütteln bis zur Anklage ist alles dabei. «Schweigen = Tod» war ein bekannter Slogan, der in Werken immer wieder auftaucht.
Lange wurde über die Krankheit geschwiegen. Folglich gab es auch keine Aufklärung, keine Prävention, keine Stop-Aids-Kampagnen – was fahrlässig war, denn so liess man die Krankheit einfach gewähren, stigmatisierte die Opfer, die es in den Augen Konservativer sogar verdient haben wegen ihrer sexuellen Auschweifungen.
Der damalige US-Präsident Ronald Reagan hat die Krankheit erst 1985 öffentlich erwähnt. Ein Kunstwerk zeigt eine Fotografie von ihm, darunter steht «He kills me» – er tötet mich. Gemeint ist damit seine Strategie des Totschweigens.
In solchen Momenten ist die Ausstellung dokumentarisch. Man erfährt über die Kunstwerke oft sehr viel.
Eine Kiste voller Tablettenschachteln
Ab Mitte der 90er-Jahren ist das Weiterleben mit dem HI-Virus durch die antiretroviralen Therapien möglich. Trotzdem sind immer noch weltweit Millionen Menschen davon betroffen.
Wenn man es sich leisten kann, ist ein Leben mit Tabletten zwar möglich. Trotzdem ist die Krankheit eine Belastung. Der selbst betroffene Fotograf Wolfgang Tillmanns hat zum Beispiel eine Zügelkiste von oben fotografiert, die randvoll ist mit seinen leeren Pillendosen und Tablettenschachteln, gesammelt während 17 Jahren.
Die Ausstellung ist aufwühlend und berührend. Darum: Unbedingt hingehen und sich diesem Wechselbad der Gefühle aussetzen, sich erinnern und lernen.