Juli Zehs Roman spielt in Unterleuten, einem fiktiven Dorf in Brandenburg, in der ehemaligen DDR. Dort leben lauter kauzige Menschen: Wendehälse, Wendeverlierer, Übriggebliebene, Profiteure, Bauern, ehemalige LPGler, die seit der Wende den Boden unter den Füssen verloren haben.
Gleichzeitig gibt es da die Berliner: Menschen aus der Stadt, Aussteiger mit Geld, die das ländliche Idyll suchen und nichts mit der Vergangenheit des Dorfes zu tun haben.
Das führt zwangsläufig zu Konflikten; manche sind harmlos, andere ausgewachsen. Richtig turbulent wird's ab den Moment, als klar wird, dass es in Unterleuten einen Windpark geben soll. Die Berliner fürchten um ihr Idyll, für die Einheimischen geht’s um Geld. Und so brechen alte Geschichten wieder auf. Schlimme Geschichten, die weit in die DDR zurückführen.
Figuren sind karikiert
Aber der Roman «Unterleuten» wäre nicht typisch Juli Zeh, wenn er bloss eine Geschichte erzählen würde. Vielmehr versucht er, den Zeitgeist einzufangen. Und damit beginnt das Problem. Genauer gesagt: zwei Probleme.
Erstens kippt Juli Zeh ins Klischee, da sie absorbiert ist von ihren Bemühungen, den Zeitgeist einzufangen. Ihre Figuren sind nicht gezeichnet, sondern karikiert. Zum Beispiel das Berliner Paar, das sich in Unterleuten niederlässt – es steht im Zentrum des Romans. Er ist um die fünfzig, sie um die dreissig, er Professor, sie seine Studentin, er schmeisst den Job und wird Vogelschützer, sie kriegt ein Kind und wird Berufsmutter.
Genauso klischiert ist der Nachbar: ein Einheimischer, ein besonders kauziger Kauz. Er verbrennt den lieben langen Tag Gummireifen in seinem Garten und treibt das Berliner Paar damit in den Wahnsinn. In einer Gesellschaftssatire wäre das lustig – «Bienvenue Chez les Ch’tis» auf Ostdeutsch. Aber in einem Gesellschaftsroman wirkt das überkonstruiert. Und Humor gibt es sowieso keinen.
Beiträge zum Thema
Ins Moralische gekippt
Problem Nummer zwei: Juli Zeh ist zu engagiert und kippt ins Moralische. Sie legt ihren Figuren politische Pamphlete in den Mund, die nicht in deren Kopf entstehen, sondern am Schreibtisch einer Schriftstellerin.
Das ist schade, ärgerlich und unnötig. Denn die Figuren wären zu mehr berufen. Ihre Geschichten berühren – wie die des Dorfbewohners, der seine Frau in den Krebstod begleitet und nach ihrem Tod feststellt, dass sie ihn ein Leben lang bespitzelt und bei der Stasi denunziert hat.
Aber meistens steht etwas zwischen dem Stoff und dem Leser. Etwas Störendes: ein Engagement, eine Absicht, ein Klischee, und dann werden 800 Seiten Gesellschaftsroman ganz schön anstrengend.