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Literatur Starautor und Störefried: Karl Ove Knausgård kränkt die Schweden

Angepasst, autoritär, einfach unverständlich: So beschrieb der Norweger Karl Ove Knausgård kürzlich den politischen Diskurs in Schweden. Er löste damit ein kleines Erdbeben aus. Im Feuilleton der grossen Tageszeitungen wurde der Autor sogar als rechtsextremer Pädophiler beschimpft.

Karl Ove Knausgård ist kein politischer Mensch, sondern ein Autor, der über sich selbst schreibt. So zumindest begreift sich der 47 Jahre alte Verfasser der sechsbändigen Mega-Autobiografie, die in Skandinavien in den letzten Jahren unter dem provokativen Titel «Mein Kampf» erschienen ist. Das fast 4000 Seiten dicke Werk über die Höhen und Tiefen des eigenen Lebens (auf Deutsch ist der fünfte Band der Reihe kürzlich unter dem Titel «Träumen» erschienen) wurde nicht nur in Knausgårds Heimat Norwegen, sondern auch im benachbarten Schweden zu einem Bestseller.

Dorthin zog Knausgård nach der Scheidung von seiner ersten Frau, einer Norwegerin, zu Beginn der Nullerjahre: Und wie auch sonst und überall im Leben fühlt sich der Autor auch in Schweden «fremd und zuhause». Seit 2007 ist er mit der schwedischen Schriftstellerin Linda Boström verheiratet. Das Paar hat vier Kinder und lebt heute abgeschieden in einem südschwedischen Gutshof.

Video
Das Phänomen Karl Ove Knausgård
Aus Kulturplatz vom 12.11.2014.
abspielen. Laufzeit 27 Minuten 41 Sekunden.

«Literarische Pädophilie»

Wie alles andere, das ihm im Leben begegnet, verarbeitet Knausgård auch Schweden fleissig in seinen Werken – und hält dabei mit abwertenden Kraftausdrücken und Schuldzuweisungen nie zurück. Immer wieder beschreibt er die ehemalige Kolonialmacht Norwegens (zwischen 1814 und 1905 regierte Schwedens König auch über den westlichen Nachbarn) als viel zu angepasst, autoritär und nicht selten als «völlig unverständlich».

Und weil die schwedische Gesellschaft als Ganzes gar nicht so anders funktioniert wie der Mensch Knausgård, der geliebt werden möchte und einen Hang zur Perfektion hat, musste es früher oder später zum grossen Showdown kommen: Er ereignete sich in diesem Sommer nach der schwedischen Erstveröffentlichung von Knausgårds Erstlingswerk «Ute av verden».

In diesem Buch, für das Karl-Ove Kanusgård 1998 den norwegischen Kritikerpreis erhielt, beschreibt er die Liebe eines jungen Lehrers zu einem minderjährigen Mädchen – und wurde dafür in der schwedischen Presse prompt scharf angegriffen: «Ein literarischer Pädophiler» sei der Norweger, beschied die bekannte feministische Literaturprofessorin Ebba-Witt Brattström in der grössten Tageszeitung des Landes, «Dagens Nyheter».

«Einäugige Idioten»

Dies liess Knausgård nicht auf sich sitzen und blies zum medialen Gegenangriff auf seine Wahlheimat: In Anlehnung an die griechische Mythologie bezeichnete der Starautor in der gleichen Zeitung «Schweden als das Land der Zyklopen» und meinte damit «einäugige Idioten», die immer nur eine Seite der Medaille sehen wollen – und aus ideologischen Gründen gegen alles schiessen, was ihnen nicht passt.

Damit stach Knausgård tatsächlich in ein Wespennest und erhielt weitere «nette» Komplimente, wie etwa vom bekannten schwedischen Stand-up-Komiker Jonas Gardell: «Knausgård ist nichts weiter als ein in seiner Männlichkeit verletzter, weisser, homosexueller Mann.» Mehr noch: Verschiedene Kommentatoren erklärten, Knausgård sei ein Anhänger der rechtsextremen Schwedendemokraten und deshalb Rassist.

Übervorsichtiges Schweden

Der in aller Öffentlichkeit ausgetragene Streit der betupften nordischen Kulturmenschen spiegelt die Unterschiede im öffentlichen Diskurs über heikle Themen wie Sexualität, Drogen oder Einwanderung zwischen Schweden einerseits und Norwegen und Dänemark andererseits wider.

Pflegen die beiden Westskandinavier dazu eine liberalere, kontroversere, mitunter aber auch verletzendere Gesprächskultur, ist eine grosse Mehrheit der Schwedinnen und Schweden stets darauf bedacht, nur niemanden zu nahezutreten – um Kränkungen aller Art schon präventiv zu verhindern. Dabei sorgt gerade eben dieser übervorsichtige Stil manchmal zu frontalen Auseinandersetzungen, wie der Fall Knausgård versus Schweden deutlich macht.

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