1. «Kreide fressen»
Will heissen: sich scheinbar friedfertig geben, seine Aggressivität im Zaum halten. Wir erinnern uns dunkel: Erst Kreide fressen und dann sechs von sieben Geisslein? Das war doch die Idee des bösen Wolfs. Denn Kreide, so wusste der schlaue Kerl, macht die Stimme hoch. Und schon glaubten die Zicklein, der böse Wolf sei ihre liebe Mutter. Für die Liebhaber pflanzlicher Medizin: Die sogenannte Kirsch-Kreide war’s, die der Wolf schluckte, ein Mus aus Sauerkirschen. Einst in Preussen ein beliebtes Heilmittel gegen Heiserkeit.
2. «Aus dem Dornröschenschlaf erwachen»
«Es ist höchste Eisenbahn, dass du endlich aus deinem Dornröschenschlaf aufwachst!» Eltern bemühen den Dornröschenschlaf gerne und heben dazu wahlweise die Stimme oder den Zeigefinger, wenn der Nachwuchs mal wieder spät ausgeht statt früh aufsteht. Klar, dass nicht eine Rapunzel bei derart haarigen Sticheleien Pate steht. Sondern das scheintote Spindelkind, das sich unglücklicherweise in den Finger stach und dann 100 Jahre lang schlief.
3. «Zwei auf einen Streich»
Eine Redewendung, die man vor allem in der Schweiz und Österreich hört. Ihre Bedeutung: Man ergreift eine Massnahme – und sie löst zwei oder gleich mehrere Probleme. Dieses Kunststück schaffte niemand besser als das berühmte tapfere Schneiderlein. Dem gelang bekanntlich die Riesentat, «siebene auf einen Streich» tot zu schlagen. Es waren sieben gemeine Stubenfliegen, aber dieses Detail ist zu vernachlässigen.
4. «Siebenmeilenstiefel tragen»
Auf Klardeutsch: schnell vorwärts kommen – buchstäblich wie im übertragenen Sinne. Auch das hat erstmals eine Märchenfigur vorgemacht: «Das waren Stiefel, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen», heisst es in «Der kleine Däumling», einem Märchen von Ludwig Bechstein. Der Glückspilz, der sich die ersten Siebenmeilenstiefel angezogen hat: der kleine Däumling selbst.
5. «Wie eine Prinzessin auf der Erbse»
Die Prinzessin ist die Mutter aller Hypersensibelchen. Das können heutzutage selbstverständlich auch Männer sein. Hauptsache: Sie spüren alles, und es geht ihnen sofort schlecht, wenn etwas nicht stimmt. Es war ein echter Stresstest, dem Hans Christian Andersen Mann und Matratzen unterzog: Ein Prinz wollte herausfinden, ob die Prinzessin echt war, die sich als solche ausgab. Am Morgen danach war der Beweis erbracht: Nur eine Prinzessin schläft schlecht, wenn unter 20 Matratzen eine Erbse liegt. Kicher.
Inhalt
Märchenhaft Wieso frisst man eigentlich Kreide? Weil es der Wolf tat!
Ob der Dornröschenschlaf oder die Siebenmeilenstiefel: Viele Redewendungen sind direkt der Märchenwelt entlehnt. Aber welches Märchen steht für welche Wendung – und was bedeuten sie nochmal? Hier fünf Redewendungen und ihre Erläuterungen – also fast 7 auf einen Streich.