Schon im Flieger geht es los: «Wie viel Orangensaft passt wohl in einen Airbus A310?», fragt sich der junge Münchner Philosoph auf dem Weg nach New York. Ohne Unterlass kreisen die Gedanken, um schliesslich mit der Maschine die – vorläufig – «endgültige Parkposition» zu erreichen: «Vielleicht war es falsch, zu gehen. Aber ich habe nur dieses Gehirn.»
Der 36-jährige Heinz Helle studierte in München und New York Philosophie und lebt heute in Biel. Am dortigen Schweizerischen Literaturinstitut absolvierte er den Lehrgang «Literarisches Schreiben». Für seinen Debütroman «Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin» wurde er 2013 mit dem Ernst-Willner-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs ausgezeichnet und 2014 mit dem Literaturpreis des Kanton Bern.
Ein aufgesetztes Leben
Die Geschichte ist simpel, dem knallig-widersprüchlichen Titel zum Trotz. Der namenlose Ich-Erzähler reist nach New York, arbeitet als «visiting scholar» einer renommierten Uni an einem Vortrag über das Thema Bewusstsein, trifft sich mit Professoren und Kollegen zu gelegentlichen Besäufnissen und hat den einen oder anderen testosterongesteuerten One-Night-Stand. Wobei ihn – wie ein Schatten – konstant das Gefühl verfolgt, jedes Erlebnis sei vermittelt, aufgesetzt, fremdbestimmt.
Er denkt an seine in München zurückgebliebene Freundin und wie sie sich kennengelernt hatten, beim Praktikum in der Event-Agentur: Zwei schöne, junge, selbstbewusste Menschen, die nur allzu bald in der Beziehungsroutine versacken. «Wir haben Sex. Zunächst mehrmals am Tag, dann mehrmals die Woche, dann mehrmals am Wochenende, dann einmal pro Woche. Wir finden es beide gut, versichern wir einander, es wird eben weniger, es gibt viel zu tun, wir haben Stress, und ab und zu möchte man ja auch mal ein paar Freunde sehen.»
Der Zerfall einer Beziehung
Als ihn aber seine Freundin in New York besucht, wird nicht alles wieder gut: Die Beziehung zerfällt erst recht in ihre abziehbildhaften Einzelteile. Man klappert zusammen ab, was man von der Stadt gesehen haben muss. Tut, was man in der Stadt getan haben muss – die Freundin hatte es sich im Flugzeug schon zurecht gelegt. Was den Ich-Erzähler erbittert. Mit Flugangst geschlagen, war er auf seiner Reise nach New York damals mit der Frage beschäftigt, «ob man im Mittelpunkt einer Explosion wohl eher Hitze oder Lärm wahrnimmt, bevor man nichts mehr wahrnimmt, und ob man wohl den Moment noch wahrnimmt, in dem man wahrnimmt, dass man im nächsten Moment nichts mehr wahrnehmen wird.»
So wundert es nicht, dass die Abreise der Freundin aus New York auch die endgültige Trennung bedeutet. Sie packt, «dann trägt sie noch seelenruhig etwas Wimperntusche auf», während er denkt: «Mann, denk doch bitte nur ein einziges Mal nur einen Gedanken, nimm ihn und halt ihn verdammt noch mal fest».
Ertappt im Floskel-Dschungel
Der Ich-Erzähler mit seinem «analytischen Tourette-Syndrom» wird seinen Vortrag schliesslich schmeissen, vor versammelter akademischer Gesellschaft kein Wort sagen und endlich so etwas wie Ruhe empfinden. «Es sind die Dinge, die zählen, nur die Dinge, und in jedem Ding ist ein eigenes kleines Bewusstsein, das hundertmal, Millionen Mal kleiner und wahrer und echter ist als so ein komplexes, selbstbezogenes wie unseres, meins oder deins, wir sind nicht die Welt, die Welt sind die Dinge da draussen.»
Wobei auch diese Erkenntnis nur verbales Falschgold ist. Mit der Detailgenauigkeit einer Kamera entlarvt Heinz Helle die Leere und Trostlosigkeit seiner Figur: «Ich habe mir einen Lebensentwurf konstruiert, in dem ein ausgewogenes Verhältnis herrscht zwischen Geld, Sport, Vollkost, Liebe und Schlaf. Ich habe einen Pullover, der ein wenig ausgewaschen ist und etwas zu kurz, aber er wärmt, immerhin, also trage ich ihn, manchmal ist es ja wirklich noch recht kalt draussen, obwohl wir schon April haben.»
Heinz Helle erzählt scharf, aber nicht zynisch, mit Distanz zu seiner Figur und doch ganz nah dran. Und besonders reizvoll: Den Floskel-Dschungel, aus dem der Ich-Erzähler partout nicht herausfindet, bildet er so hinterlistig neutral ab, dass man sich beim Lesen manchmal gehörig ertappt fühlt bei den eigenen Selbsttäuschungen und Illusionen.