Wir müssen uns hierzulande nicht über einen Mangel an Jazz Festivals beklagen. Die grossen Städte haben sie schon seit Jahrzehnten: Zürich, Basel, Bern. Und auch auf dem Land kann man Jazz in Höchstqualität hören, immer im August in Willisau zum Beispiel.
Ein Festival allerdings lebt nicht nur von der Musik. Das Drumherum ist fast ebenso wichtig: Dixieland Bands am Lido in Ascona, Studenten-Bigbands im Park in Montreux, Woodstock-Feeling in Willisau. Kein Festival in der Schweiz allerdings kann in dieser Beziehung mit demjenigen von Cully mithalten.
Wo sich Wein- und Jazzliebhaber treffen
Cully ist ein malerisches Städtchen auf halbem Weg zwischen Lausanne und Vevey, mitten im Lavaux. So klein, dass es als eigenständige politische Gemeinde nicht mehr existiert. Zusammen mit Epesses und Grandvaux und anderen Gemeinden bildet es die Gemeinde Bourg-en-Lavaux.
Und eben dieses «Lavaux» hat einen hervorragenden Namen, nicht in Jazzer-Kreisen, sondern bei Weinliebhabern. Und damit sind wir schon mitten im sehr speziellen Ambiente von Cully.
«Next Step» ist Programm
Denn natürlich kann man in Cully grosse Namen auf einer grossen Bühne erleben. Im Chapiteau, einem grossen Zelt direkt am Ufer des Genfersees, sind in diesem Jahr Musiker wie Dave Holland, Jacky Terrasson, Lizz Wright oder Roberto Fonseca zu hören. Grosses Kino gewissermassen, einer Weltstadt würdig.
Die Salle Communal heisst während des Festivals «Next Step», was natürlich Programm ist, Musikerinnen und Musiker auf halber Höhe zum Star finden hier ein aufmerksames Publikum. Und dann ist da noch der Temple, die Kirche wo rein akustische Konzerte über die Bühne gehen.
Jazz im «Caveau»
Nicht wichtiger aber farbiger ist das «Festival OFF». Dieses findet zum Beispiel im Caveau de l’Union statt, oder im Caveau des Vignerons, im Caveau du Raisin oder im Caveau Potterat. Und damit sind wir wieder im Weinbaugebiet der Laveaux, wo heute die Weine wohl im Stahltank gelagert werden. Und deshalb Dutzende von Gewölbekeller im Städtchen keine Bestimmung mehr haben und statt mit Wein mit Jazz gefüllt werden können. Nicht überall mit der gleichen Qualität, das muss hinzugefügt werden. Doch gerade das macht den Charme aus.
Im Keller mit Gleichgesinnten
Neben Hau-Ruck-Dixieland-Kapellen und mittelmässigen Barpianisten kann es trotzdem passieren, dass man auf aufstrebende Schweizer Jazzer trifft, in diesem Jahr etwa den Geiger Tobias Preisig oder den jungen Saxophonisten Simon Spiess.
Oder Brasiljazz, Blues, Swing Manouche, DJs oder Boogie Woogie Pianisten. Vor allem aber trifft man in diesen Clubs und Kellern Gleichgesinnte – jazzverrückte Weinliebhaber mit Sinn für gute Lebensart vielleicht, wenn man sie zu etikettieren versucht. Aus jedem Keller klingt es, das Städtchen ist für eine Woche im Ausnahmezustand.
Am 5. April beginnt diese verrückte Woche und sie dauert bis zum 13. April – paradiesische Zustände für jeden Jazzliebhaber, jede Musik-Aficionada. Eine Schlange im Paradies gibt es allerdings: Der frühe Zeitpunkt im Jahr kann das Wetter am Genfersee ziemlich garstig werden lassen. Dann braucht es wohl eher drei als nur zwei Gläser «Epesses», um die Seele wieder aufzuwärmen.